Der Duft von Hibiskus
Wildnis.
Emma hatte sich einen üppig wuchernden, feucht-tropischen Dschungel vorgestellt und war nun erstaunt, dass »der Busch« ein lichter, dürrer Eukalyptuswald war. Seltsamerweise spendeten die Eukalypten, deren aufgeplatzte Rinde in Fetzen herunterhing, kaum Schatten; ihre matten, schmalen Blätter ließen die Sonne fast ungehindert auf den trockenen Boden brennen.
Und auf die Forschergruppe.
Emma und die vier Männer waren erst zwei Stunden unterwegs, und schon klebten ihnen allen die Kleider am Körper. Obwohl Emma noch gar nicht ritt, sondern ihr Pferd am Zügel führte, war sie nun heilfroh, kein Korsett zu tragen. Von der engen Schnürung befreit atmete sie so leicht wie seit ihrer frühen Kindheit nicht mehr, was die Anstrengung des Laufens und die Hitze etwas erträglicher machte. Auch wenn sie ihr Kleid über der ungeschnürten Taille kaum zu schließen vermocht hatte und sie jetzt, wie sie fand, den ästhetischen Reiz eines Kartoffelsacks ausstrahlte, genoss sie die ungewohnte Bewegungsfreiheit in vollen Zügen. Froh war sie auch über den Strohhut mit Moskitonetz, den sie auf Scheerers Rat hin in letzter Sekunde erstanden hatte.
»Wenn wir unterwegs sind, werden die Tiere in der ersten Tageshälfte grundsätzlich nur die Ausrüstung tragen«, hatte der Leiter am Vormittag bestimmt, als die Forscher sich mit ihren Pferden und mehreren Lastochsen zum Aufbruch gerüstet hatten. »Erst gegen Nachmittag werden wir reiten. Genügend zu fressen und ausreichend Wasser werden nämlich ein Luxus sein, den wir den Tieren nicht immer werden bieten können. Wenn wir sie überfordern, halten sie nicht lange durch.«
Oskar, Pagel und Krüger hatten unbekümmert genickt, aber Emma war es mulmig geworden. Eben erst hatte sie sich mit dem Gedanken angefreundet, reiten zu müssen, da wurde ihr eröffnet, dass sie stundenlange Fußmärsche vor sich hatte?
Sie hatte sich rasch entschuldigt und war ins Gasthaus zurückgelaufen, wo sie ihre hochhackigen Halbstiefel gegen die klobigen Stiefel der Wirtin getauscht hatte. Gottlob passten sie, sonst hätte sie über kurz oder lang barfuß laufen müssen – ihre Absätze hätten die australische Wildnis schwerlich mehr als ein paar Stunden überlebt.
Pagel hatte gegrinst, als Scheerer Emma die Zügel ihres Schimmels überreicht hatte. Mit ihrer seitlich herauslugenden Zunge und den gemächlichen Bewegungen war Emmas Stute auf den ersten Blick als das zu erkennen, was sie war: eine lahme Mähre, gerade gut genug für eine Frau, die kaum reiten konnte. Emma hatte sich auf die Unterlippe gebissen und darauf gewartet, dass Scheerer den Forschern von ihrer Angst vor dem Rappen erzählen würde, doch er hatte es nicht getan.
»Wir wollen Fräulein Röslin doch nicht bei einem Sturz verlieren«, hatte er ruhig zu dem feixenden Pagel gesagt. »Es reicht, dass sie gezwungen sein wird, auf ungewohnte Weise im Spreizsitz zu reiten. Da sollte wenigstens das Pferd brav sein, finden Sie nicht?«
Solcherart zurechtgewiesen, hatte Pagel sich jede Bemerkung über Emmas Reittier verkniffen, und auch als Scheerer ihr probeweise in den Sattel geholfen hatte und ihr dabei der Rock bis zu den Knien hochgerutscht war, hatten weder er noch Oskar oder Krüger sich zu Anzüglichkeiten hinreißen lassen.
Dennoch war Emma die Hitze ins Gesicht gestiegen. Da saß sie nun mit gespreizten Beinen auf einem Pferd, und vier Männer hatten freien Blick auf ihre bestrumpften Beine und Füße – die noch dazu in diesen grässlichen Stiefeln steckten! Sie hatte ihren Rock so rasch über ihre Beine geworfen, dass sie von der hektischen Bewegung umgehend wieder vom Pferd gefallen wäre, hätte Scheerer sie nicht blitzschnell gehalten und wieder in den korrekten Sitz geschoben. Die Berührung währte nur wenige Augenblicke lang, doch Emma hatte es danach für geraume Zeit vermieden, ihn anzusehen.
Und nun ritt sie überhaupt nicht, sondern stapfte verbissen über den mit stacheligem Gras und trockenen Eukalyptusblättern bedeckten Boden, die Zügel ihrer Stute fest umklammernd. Princess, so der unpassende Name für das Pferd, wollte alle paar Schritte stehen bleiben. Am liebsten, mutmaßte Emma grimmig, hätte Princess sich wohl hingelegt. Aber was beschwerte sie sich? Immer noch besser, eine lahme Mähre hinter sich herzuziehen, als von einem schwarzen Höllenross bei der ersten Gelegenheit ins Jenseits befördert zu werden.
Neben ihr führte Oskar einen hübschen Fuchs, Dusty, der wie Emmas Schimmel
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