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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Sexualsystem zu ordnen. Herr Röslin erklärte ihr den Aufbau der Gewächse und brachte ihr bei, wie man Pflanzen systematisch sammelte, presste, trocknete und auf großen Papierbögen befestigte. Herbarien anzulegen oder zumindest zu besitzen war sehr in Mode, und schon bald konnte der Vater seiner Tochter berichten, dass er zum ersten Mal einen ihrer Herbarbögen verkauft hatte: Ein Doktor wollte ihn als Anschauungsmaterial verwenden. Emma sah in Herrn Röslins leuchtende Augen und wusste nicht, wer von ihnen beiden stolzer war: ihr Vater oder sie selbst.
    Sie liebte die gemeinsame Arbeit mit ihm. Aber fast noch mehr liebte sie die Abendstunden, in denen sie mit den am Tage gesammelten Pflanzen alleine war. Samen, Wurzeln, Blätter und Blüten mussten getrennt, gepresst, getrocknet werden, und Emma arbeitete unermüdlich, während ihr Vater im Zimmer nebenan Tinkturen und Salben für seine Apotheke zubereitete.
    Als sie achtzehn Jahre alt war, war sie nach Meinung des Vaters reif für eine neue Aufgabe. Emma kannte sich in der Welt der Pflanzen mittlerweile sehr gut aus, und so kam eine neue Übung hinzu: das Zeichnen. Viele Pflanzen und vor allem die Früchte vertrockneten rasch, nicht alle ließen sich problemlos konservieren, und selbst wenn eine Pflanze ihre Form behielt, verlor sie doch oft ihre Farbe. Das detailgetreue Zeichnen und Kolorieren der Pflanzen, erklärte Herr Röslin, war deshalb von höchster Wichtigkeit. Auch bei noch so genauer Beschreibung einer Pflanzenart war ein dazugehöriges Bild als Erklärung und Ergänzung unbedingt notwendig.
    »Deshalb«, verkündete Herr Röslin, »wirst du deine Zeit zukünftig mit Farben und Bleistift verbringen.«
    Da Emma schon immer gerne gezeichnet und gemalt hatte, machte sie sich mit Feuereifer an die neue Aufgabe. Bei ihren ersten Bildern achtete sie, wie sie es auf der privaten Töchterschule gelernt hatte, besonders auf die Schönheit: Sie malte die Blüten größer und leuchtender, als sie in Wirklichkeit waren, und vernachlässigte die unscheinbaren Pflanzenteile wie Staubbeutel oder Wurzeln. Den Hintergrund gestaltete sie mit blauem Himmel und duftigen Wolken aus, oder sie stellte mehrere Exemplare der gleichen Pflanze in eine bemalte Porzellanvase, die mit aufs Bild kam.
    Ihr Zeichenlehrer wäre stolz auf sie gewesen – ihr Vater war es nicht.
    »Wir wollen Sachinformationen vermitteln«, sagte er streng, »und keine Bilder für den Salon malen.«
    Ihre Salonbilder wegzuwerfen brachte er jedoch nicht übers Herz, also hängte er sie im Wohnzimmer auf, wo sie der Mutter und Besuchern einen erfreulichen Anblick bieten sollten.
    »In Zukunft wird aber naturgetreu gearbeitet, verstanden?«, ermahnte er Emma mit einem Augenzwinkern.
    Von nun an ließ Emma den ästhetischen Gesamteindruck außer Acht, und schon bald gewöhnte sie sich an die neue, nüchterne Art der Darstellung. Sie zeichnete jeweils ein einzelnes Pflanzenexemplar vor weißem Hintergrund, dazu Detailfiguren zur exakten Darstellung von Frucht, Blüte und Besonderheiten. Sie lernte, mit dem Mikroskop umzugehen, um auch winzige Details erkennen und zu Papier bringen zu können. Wenn sie ihre Zeichnungen kolorierte, achtete sie peinlich genau auf naturgetreue Farben, und sie ließ es sich nicht nehmen, auf die Rückseite der fertigen Bilder zahlreiche Erläuterungen zu schreiben.
    »Du arbeitest so wissenschaftlich, dass einem – bedenkt man, dass du eine Frau bist – angst und bange werden kann«, sagte der Vater einmal und schüttelte den Kopf. Doch Emma wusste, dass er sich insgeheim über ihren Eifer freute.
    So könnte es ewig weitergehen, dachte sie oft, und dann fühlte sie einen Stich im Herzen, der sie daran erinnerte, dass all dies ein Ende haben würde, und das vielleicht schon bald. Sie war nun neunzehn Jahre alt, hatte mehr als einen Heiratsantrag bekommen und abgelehnt, und irgendwann – das wusste sie – würden die Eltern ihre Weigerung zu heiraten nicht mehr akzeptieren. Die Mutter betrachtete ihre Entwicklung schon seit Längerem mit Sorge, und Emma hatte sie erst kürzlich mit scharfer Stimme zum Vater sagen hören: »Sie sollte sich um einen Mann kümmern, nicht um Grünzeug! Willst du etwa, dass unsere schöne Tochter eine alte, vertrocknete Jungfer wird? Von den Frauen bemitleidet, von den Männern verachtet … und ohne Geschwister, bei denen sie wohnen könnte. Ihr bleibt ja nicht einmal die Rolle der lieben Tante für ihre Nichten und Neffen!«
    Tatsächlich

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