Der Duft von Hibiskus
bekömmlich erwiesen.
Das wird ein seltsames Weihnachtsfest werden, dachte sie, während sie ihre Ernte zum Feuer trug. Das Feuer unter freiem Himmel statt im Kamin, die Früchte roh statt als Dessert, ein Christbaum fehlt ganz.
Beim Gedanken an die mit Zuckerwerk, Äpfeln und Wachskerzen geschmückte Tanne, die heute gewiss im Röslinschen Hause stehen und am Abend im Lichterglanz erstrahlen würde, überfiel sie das Heimweh. Ob Vater und Mutter sie wenigstens heute vermissten, ein kleines bisschen? Ob sie es bereuten, Emma über die dunklen Geschehnisse im Februar im Ungewissen gelassen zu haben? Ob sie sich eine Versöhnung wünschten?
Und Ludwig? Ob er wohl unbeschwert und fröhlich mit Auguste feierte? Oder ob er an Emma dachte?
Denke ich denn eigentlich noch an ihn?, fragte sie sich plötzlich.
Emma hatte Ludwig nach ihrem ersten Kuss vier Wochen lang nicht wiedergesehen. So hatte sie genug Zeit gehabt, um Höllenqualen zu erleiden und abwechselnd an ihrem und an seinem Verstand zu zweifeln.
Er hatte ein Briefchen geschickt – an Frau Röslin, nicht an Emma – und die nächste Klavierstunde abgesagt, mit der Begründung, dass er sich nicht wohlfühle. Auch danach könne er nicht kommen, da er um die Weihnachtszeit herum nicht in Stuttgart sei.
»Die Familie seiner Frau wohnt auf dem Land«, teilte Frau Röslin ihrer Tochter mit, während sie den Brief überflog, »und dorthin fahren die Heyns nun auch. Aber im neuen Jahr werden sie zurück in Stuttgart sein, und Herr Heyn wird dich wieder unterrichten.« Sie hob den Kopf und lächelte. »Dann kannst du die Zeit bis dahin ja nutzen, um fleißig zu üben.«
Emma nickte und verbarg ihre Enttäuschung hinter einem gleichmütigen Gesichtsausdruck. Doch als sie später am Klavier saß und die schwermütigsten Stücke spielte, die sie kannte, stürmten die bangen Fragen nur so auf sie ein.
Hatte Ludwig eine Ausrede erfunden, um sie, Emma, nicht sehen zu müssen? Wollte er sich eine Pause verschaffen, um über seine Leidenschaft für Emma hinwegzukommen? War das, was zwischen ihnen geschehen war, überhaupt Leidenschaft für ihn gewesen? Verachtete er Emma, weil sie ihn nicht zurückgewiesen hatte? Aber nein, das war unmöglich. Du hast etwas an dir, das mich um den Verstand bringt, Emma. Das waren seine Worte gewesen. Vielleicht hasste er sie ja dafür, dass sie dieses Etwas an sich hatte und ihn zur Untreue verführte? Oder maß er dem Kuss gar keine Bedeutung bei?
Die Fragen kreisten unaufhörlich in ihrem Kopf, kaum merkte sie, dass sie bereits seit über zwei Stunden spielte.
Erst als ihre Mutter hinter ihr sagte: »Es ist genug, Kind, man soll in allem Maß halten!«, kam sie wieder zur Besinnung, klappte den Klavierdeckel heftig zu und handelte sich prompt einen weiteren Tadel ein.
Selbstvorwürfe und verzweifelte Liebe begleiteten Emma durch die Weihnachtstage und bis ins neue Jahr. Die ganze Zeit über fürchtete sie sich davor, dass Ludwig einen weiteren Brief senden und den Klavierunterricht ganz kündigen würde. Als diese Schreckensnachricht bis Anfang Januar ausgeblieben war, atmete Emma zögernd auf. Sie würde ihn wiedersehen, bald. Zumindest das. Und dann würde sie … ja, wie würde sie sich verhalten?
Anfangs hatte sie sich vorgenommen, ihn mit Kälte zu bestrafen, weil er sie im Ungewissen gelassen hatte. Schließlich war er es gewesen, der sie geküsst hatte! Dann sagte sie sich, dass vielleicht alles zwischen ihnen vorbei sein würde, wenn sie ihm derart kühl begegnete, und sie wollte sich auf fragende Blicke verlegen. Aber mit jeder Woche ohne ihn wurde sie mürber, wurde die Sehnsucht danach, noch einmal seinen Mund auf ihrem zu spüren, drängender. Als er dann endlich eine Botschaft schickte, wann er zur Klavierstunde zu kommen gedachte, wusste Emma, dass sie alles dafür tun würde, um ihn dazu zu bringen, ihre Liebe zu erwidern.
Sie wartete in ihrem hübschesten Kleid auf ihn, einem zarten, schneeweißen Gebilde mit weich fallenden Volants, und auch wenn sie sich wie die sündige Eva persönlich fühlte, hoffte sie doch inbrünstig, dass ihre Schönheit ihm auffallen möge.
Als er mit Frau Röslin den Raum betrat, stand sie am Klavier und gab vor, Noten zu ordnen. Sie hob den Kopf und begrüßte ihn mit erzwungener Ruhe. Sein Blick erfasste ihre Gestalt von oben bis unten, und als die Tür sich hinter ihrer Mutter geschlossen hatte, schlenderte er auf Emma zu.
Sie hörte mit dem unsinnigen Notenordnen auf, ließ die
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