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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Gedanke erschreckte sie noch mehr – hatte sie sich in Stuttgart nur Illusionen hingegeben?
    War das, was sie für unsterbliche Liebe gehalten hatte, etwas vollkommen anderes gewesen?
    Wenn es so war, dann hatte sie dieser Schwärmerei viel zu viel geopfert. Heiße Reue überflutete sie, als Emma daran dachte, wie viel.
    Der Frühling war ins Land gegangen, und äußerlich hatte sich für Emma wenig verändert. Sie hatte das Leben weitergeführt, das sie seit Jahren geführt hatte, hatte Herrn Röslin bei seiner Arbeit geholfen, war durch die erwachende Natur gestreift, hatte Pflanzen getrocknet, und viele Stunden täglich hatte sie gezeichnet. Ihrem Vater fiel lediglich auf, dass sie häufiger Klavier übte als früher, und die Mutter bemerkte, dass Emma ausschließlich Liebeslieder spielte. Aber war das nicht ganz natürlich? Emma war jung, und es war Frühling, da träumte eine Frau eben von der Liebe.
    Dass sie von ihrem Klavierlehrer träumte, ahnte niemand.
    Für ihre Eltern war Emma dieselbe, die sie im Herbst gewesen war. Doch die Emma vor Ludwig hatte nichts mehr mit der Emma zu tun, als die sie sich fühlte, seit sie dieser Liebe verfallen war. Sie erledigte ihre Pflichten, widmete sich Blüten und Blättern, traf sich mit Sophie, ging mit der Mutter auf den Markt … Doch die ganze Zeit über sehnte sie sich nach Ludwigs Nähe. Manchmal kam sie, mehr oder weniger zufällig, an seinem Haus vorbei. Dann stellte sie sich vor, wie es wäre, hier mit ihm zu leben. In diesen Momenten erkannte sie sich selbst kaum wieder: Sie existierte nur noch für Erinnerung und Vorfreude, vor allem aber für die eine Stunde, die er neben ihr auf der Klavierbank saß, für die gestohlenen Küsse und die Wärme seiner Hände, die sie auf ihrem Nacken spürte.
    Eine Stunde Leben für hundertsiebenundsechzig Stunden Sehnsucht jede Woche.
    Das hatte sie sich ausgerechnet, nachdem Ludwig und Auguste wieder einmal zum Abendessen da gewesen waren und sie sich krank vor Kummer gefühlt hatte, obwohl er Auguste kaum beachtet hatte. Er hatte zwischen Emma und ihrer Mutter gesessen, und als er ihr Unglück bemerkte, streichelte er unter dem Tisch tröstend Emmas Hand. Sie war vor Schreck über diese Indiskretion wie erstarrt. Dennoch ließ sie ihn gewähren und hütete die Erinnerung an die heimliche Berührung tagelang.
    Und dann, eines Tages im Mai, hielt sie es nicht mehr aus. Sophie hatte ihr am Vormittag stundenlang von ihrem Zukünftigen vorgeschwärmt – sie war endlich verlobt –, während Emma von der Schwere ihres eigenen Elends niedergedrückt worden war. Beim Unterricht am Nachmittag musste sie sich zwingen, ihre Hände auf den Tasten und die Augen auf den Noten zu lassen, und als ihre gemeinsame Zeit sich dem Ende zuneigte, legte sie in aufwallender Verzweiflung den Kopf an Ludwigs Schulter.
    »Soll ich dich immer nur für die Dauer eines Kusses lieben dürfen?«, flüsterte sie unglücklich.
    Er legte den Arm um sie und drückte seinen Mund auf ihr Haar. »Nein, so geht es nicht weiter. Das habe ich mir auch schon überlegt. Wir müssen uns irgendwo treffen, wo wir allein sind.«
    Sie schluckte. »Wo könnte das sein?«
    »Bei mir. Auguste besucht häufig ihre Freundinnen, morgen zum Beispiel. Ich habe so viele Noten zu Hause herumliegen; du solltest kommen und dir welche ausleihen.«
    Sie löste sich von ihm und suchte seinen Blick. Wie gebannt schaute sie in seine hellen Augen, und für einen winzigen Augenblick schaltete sich ihr Verstand wieder ein.
    »Spielst du gerne mit dem Feuer, Ludwig?«
    »Nur wenn das Feuer so hell lodert wie bei dir.« Er lächelte. »Dann allerdings verspüre ich keinerlei Lust, es zu löschen.«
    Abrupt stand er auf. Ohne sie noch einmal zu küssen, sagte er: »Adieu, Emma. Bis morgen um drei.«
    Was geschieht hier?, fuhr es ihr durch den Kopf.
    Sie sah ihm nach, wie er elegant den Raum durchschritt. Als er ging, spürte sie die Kälte, die nach ihr griff, sobald sie ohne ihn war, und sie schauderte. Morgen, sagte sie sich, morgen würde ihr wieder warm sein. Morgen um drei.
    Unruhe erfasste sie. Sophie hatte kichernde Andeutungen über das gemacht, was zwischen Mann und Frau geschehen konnte, wenn sie allein waren. Seit Sophie verlobt war, sprach ihre Mutter manchmal unter vier Augen mit ihr. Was Sophie Emma von diesen Gesprächen weitererzählte, klang allerdings eher abschreckend als verheißungsvoll. Für Frauen schien »es« in erster Linie eine Geduldsübung zu sein, die manchmal

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