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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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seinen alkoholisierten Silvesterauftritt peinlich war. Vielleicht brauchte er ein paar Stunden Zeit, um wieder mit sich selbst ins Reine zu kommen, oder er leistete Emma mit dem Geschenk des freien Tages Abbitte. So oder so, sie freute sich über den unverhofften Luxus und beschloss, Mrs. Dunnings’ Einladung zum Tee anzunehmen, die diese beim nächtlichen Abschied ausgesprochen hatte.
    Beschwingt lief Emma durch die leeren Straßen. Offensichtlich hatten die Bewohner Brisbanes doch recht lange gefeiert, denn obwohl es schon auf die Mittagszeit zuging, ließ sich kaum ein Mensch draußen sehen. Sicher schliefen die Leute gerade ihren Rausch aus. Emma grinste, und Carls Abneigung gegen die wilden Münchner Partys fiel ihr ein. Spontan schickte sie ein Dankgebet zum Himmel, denn wenn er sich nicht angewidert von jenem Leben abgewandt hätte, so hätte Emma ihn niemals kennen gelernt.
    Zum hundertsten Mal an diesem Tag dachte sie an den flüchtigen Kuss um Mitternacht. Zum ersten Mal im Leben hatte sie über eine Zärtlichkeit mit einem Mann entschieden. Carls glühende Blicke heute Morgen hatten ihr bewiesen, dass er es ihr keineswegs übel nahm, dass sie die Initiative ergriffen hatte.
    In bester Laune erreichte sie ihr Ziel und klopfte an die Haustür. Eine Wilde – nein, verbesserte Emma sich gewissenhaft, eine Schwarze – öffnete ihr die Tür und führte sie zur Hausherrin. Mrs. Dunnings war in die Lektüre einer Zeitung vertieft, erhob sich aber erfreut, als sie Emma sah.
    »Ah, meine Liebe, Sie haben meine Einladung angenommen!«
    Mit ausgestreckten Armen ging sie auf Emma zu, ergriff ihre Hände und zog sie zu einem zierlichen Sofa. Höflich bedankte Emma sich noch einmal für das Fest, und sie plauderten darüber, wie seltsam es war, bei schweißtreibenden Temperaturen Silvester zu feiern.
    Als das schwarze Mädchen Tee und Kekse gebracht hatte, führte Mrs. Dunnings ihre Tasse zum Mund und fragte: »Sie haben also heute frei bekommen, meine Liebe?«
    »Ja. Herr Crusius traut mir nicht zu, mit Packpapier und Schnur umgehen zu können«, grinste Emma.
    »Herr Crusius?« Mrs. Dunnings zog eine Augenbraue hoch. »Der Herr, der unser Fest mit Beethoven, ähm, bereichert hat?«
    Emma nickte. »Eben der. Ich bin bei ihm angestellt. Ich zeichne für ihn Pflanzen und Tiere.«
    »Er sprach von Ihnen als seiner Verlobten, wenn ich mich recht erinnere. Aber ich bin des Deutschen nicht sonderlich mächtig. Vielleicht habe ich ihn auch falsch verstanden?«
    Mrs. Dunnings sah ihr in die Augen, und Emma kam es vor, als schaute die Ältere ihr direkt in die Seele. Der Zauber, den sie in der Nacht empfunden hatte, ging auch im hellen Tageslicht von Mrs. Dunnings aus.
    Nein, sie konnte diese Frau nicht belügen.
    »Sie haben ihn richtig verstanden«, sagte Emma langsam. »Dennoch ist die Aussage falsch. Ich bin nicht mit ihm verlobt. Es war eine Notlüge, und nun spiele ich das Spiel gezwungenermaßen weiter. Das belastet mich, denn es ist schrecklich unfair einem Menschen gegenüber, den ich sehr … schätze.«
    »Carl Scheerer«, sagte Mrs. Dunnings gelassen.
    Emma sog scharf die Luft ein. »Ich … ähm … ja. Woher wissen Sie das?«
    »Ich habe einfach nur Augen im Kopf.«
    »Dann hoffe ich, dass Oskar Crusius eine andere Art von Augen besitzt als Sie.« Emma seufzte.
    Mrs. Dunnings betrachtete sie nachdenklich. »Ja, meine Liebe, das hoffe ich auch. Dieser Crusius ist der Typ Mann, der Ihnen noch ernstliche Schwierigkeiten machen könnte.«
    »Glauben Sie?«
    »Leider ja. Sein Liedchen heute Nacht klang ganz so, als sei er entschlossen, sich irgendwann einmal zu nehmen, was ihm zusteht. Seiner Meinung nach.«
    Ein Schweißtropfen rann Emma von der Stirn über die Schläfe. Sie wischte ihn nervös fort. »Aber was kann ich dagegen tun?«
    Mrs. Dunnings wiegte ihren Kopf hin und her. »Am besten wäre es natürlich, für klare Verhältnisse zu sorgen. Können Sie das?«
    »Nein. Er hat mir unmissverständlich gesagt, dass er mich dann entlassen wird.«
    »Und für Carl arbeiten könnten Sie nicht?«
    Daran hatte Emma auch schon gedacht. »Ich weiß es nicht. Möglich wäre es. Ich habe ihn nicht gefragt.«
    Sie schwieg kurz. Dann sagte sie leidenschaftlich: »Ich will nicht für ihn arbeiten, Mrs. Dunnings. Carl ist der erste Mann, der es mir erlaubt, ihm auf Augenhöhe zu begegnen. Und ich möchte, dass das so bleibt! Carl ist so … so einzigartig, verstehen Sie? Er nimmt es mir noch nicht einmal übel, dass ich ihn

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