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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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fragte Pagel: »Was ist Ihnen denn für eine Laus über die Leber gelaufen? Ist doch allgemein bekannt, dass die Wilden keinerlei Moral haben. Verkaufen ihre Frauen für eine Flasche Schnaps, stehlen Schafe und sind überhaupt die faulsten Taugenichtse, die die Welt je gesehen hat. Da finde ich es nur verständlich, wenn die Engländer Jagd auf sie machen und sie abknallen, zumal es hier keine Füchse …«
    »Noch ein Wort, und Ihre Zeit als Forscher in meiner Gruppe ist vorbei!«, unterbrach Carl ihn eisig.
    Pagels Mund klappte zu, er starrte den Leiter verständnislos an.
    Carl sah ihm fest in die Augen.
    »Andere Meinungen dulde ich. Menschenverachtendes Geschwätz nicht. Haben Sie das verstanden, Pagel?«
    Der nickte, schien aber immer noch nicht zu begreifen, was Carl ihm eigentlich vorwarf.
    »Ich glaub, einer der Ochsen macht sich selbstständig«, murmelte er und wendete sein Pferd. »He, Hermann, komm und hilf mir.«
    Krüger folgte ihm gehorsam.
    Emma sah den ungleichen Freunden über die Schulter nach. »Bisher fand ich Pagel eigentlich ganz nett, auch wenn er mir etwas zu schneidig war. Aber jetzt …«
    Carl seufzte. »Leider denken die meisten Männer hier wie er. Pagel ist keineswegs eine besonders grausame Ausnahme.«
    »Hast du selbst denn überhaupt keine Angst vor den Eingeborenen?« Emma sah ihn forschend an. »Als der Schwarze im Busch seinen Speer mit mir tauschen wollte, hast du dir doch auch Sorgen gemacht. Du hast mich danach keine Sekunde mehr allein im Lager gelassen, aus Angst, der vermeintliche Überfall könnte sich wiederholen!«
    »Das stimmt«, Carl zuckte mit den Schultern, »natürlich gibt es Überfälle von Schwarzen, und reine Engel sind auch sie nicht. Sie können brutal sein wie alle Menschen. Aber hast du, Emma, Angst vor allen Weißen, weil dich ein weißer Mann heute Nacht vergewaltigen wollte? Hast du deshalb Angst vor mir?«
    Sie senkte hastig den Blick und schüttelte den Kopf.
    »Eben. Ich halte es einfach für falsch, alle Menschen über einen Kamm zu scheren.«
    Er schwieg kurz. Dann sagte er: »Revolutionäres Geschwätz, hm? Nun wirst du doch noch zum Schluss kommen, dass ich ein komischer Vogel bin.«
    Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelte, als sie die Unsicherheit in seinen Augen sah.
    »Ich dachte, das Vogel-Thema hätten wir geklärt.«
    »Schon. Aber wenn du etwas von mir erfährst, das dir nicht gefällt, eine Haltung … oder«, er stockte kurz, »etwas aus meiner Vergangenheit … dann änderst du vielleicht deine Meinung über mich.«
    Blut, Tod, Ehebruch. Wem habe ich den Tod gebracht?
    »Würdest du das denn tun?«, fragte sie mit dünner Stimme.
    »Meine Meinung über dich ändern? Nein, Emma. Weil ich sicher bin, dass es nichts an dir gibt, das ich verabscheuen könnte.«
    Wenn du dich da bloß nicht irrst, dachte sie, und plötzlich war ihr trotz der brütenden Hitze kalt.
    An diesem Abend mussten sie nicht stehen, denn im Gegensatz zum Busch-Inn gab es im Ipswicher Gasthaus Tische und Stühle. Sie hatten eine ganze Weile nach einem geeigneten Nachtplatz suchen müssen, da Carl nach der Erfahrung der letzten Nacht misstrauisch geworden war. Außerdem brauchten sie ein Gasthaus, das nicht nur sie und die Pferde aufnahm, sondern in dem auch die Ochsen versorgt wurden.
    Doch sie hatten Glück: Das Haus, in dem sie schließlich landeten, bot nicht nur frisches Wasser, Futter und einen geschützten Platz für die Tiere, sondern auch saubere Zimmer für sie selbst und vom Schankraum aus einen herrlichen Ausblick auf den Garten.
    Emma konnte sich gar nicht sattsehen an den fremdartigen Bäumen, die hier wuchsen, und die Forscher mussten ihr den Namen jedes einzelnen Gewächses nennen: Rizinusbäume, Feigenbäume und Granatäpfel wuchsen in malerischer Nachbarschaft zu australischen Kirschbäumen, Hibiskussträuchern und Agaven. Nach der sandigen Dürre des Busches empfand Emma die Fruchtbarkeit dieses Gartens als besonders wohltuend.
    Zum Abendessen gab es zur großen Freude aller kein Hammelfleisch mit damper , sondern gebratene Hühner und wunderbar zarten Lachs, dazu Salat mit Eiern, Brot und Butter und, als krönenden Abschluss, sogar Kuchen. Als Emma sich nach diesem fürstlichen Mahl satt und zufrieden zurücklehnte, sah die Welt bereits wieder viel heller aus als vorhin, da die Angst vor Carls Ablehnung sie übermannt hatte. Als die Wirtin ihnen ankündigte, dass später am Abend ein Ball stattfinden werde, begannen Emmas Augen vor Aufregung zu

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