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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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betete ich Woche um Woche, Monat um Monat, wenn ihr mir erlaubt, wieder zu gehen, werde ich nur noch reine Gedanken haben. Niemals werde ich mehr dem Verlangen meines Fleisches nachgeben.
    Während dieses nicht enden wollenden ersten Jahres war ich ans Bett gefesselt. Von Kissen gestützt lag ich die meiste Zeit, denn sobald ich länger als einige wenige Minuten aufrecht saß, schmerzte mein Rücken. Margaret und Alice Ann kamen mich noch immer besuchen, aber es war nicht mehr wie früher. Ich erkannte, dass diese Mädchen, mit denen ich einst gelacht und meine Geheimnisse und Träume geteilt hatte, in wenigen Monaten sichtlich gewachsen waren und vor Lebenslust strotzten, während ich geschrumpft und farblos geworden war. Noch immer hörte ich ihnen zu, doch statt mich aufzuheitern, führten mir ihre Erzählungen nun vor Augen, welches Leben ich verpasste. Auch sie mussten dies gespürt haben, denn im Laufe der Zeit wurden ihre Berichte immer stockender. Es entstanden unbehagliche Pausen, in denen sie sich vielsagende Blicke zuwarfen und ich in ihren Augen gewisse Regungen wahrnahm – mal Hoffnungslosigkeit, dann wieder Ungeduld oder schlicht Langeweile. Nach einiger Zeit graute mir vor dem Klopfen an der Tür, und ich wünschte, meine Mutter würde weniger Aufhebens um die Besuche machen. Sie redete mehr mit den Gästen als ich; im Grunde hatte ich ihnen nur noch wenig zu sagen. Mein Leben spielte sich von nun an innerhalb der vier Wände meines Schlafzimmers ab.
    Im Gegensatz zu meiner Mutter, die, wie ich wusste, das Ausbleiben der Gäste bedauerte, war ich erleichtert, nachdem ein Monat vergangen war, ohne dass jemand an unsere Haustür geklopft hätte.
    Einmal in der Woche, nachdem sie meine Hausaufgaben abgeholt hatte, begab sich meine Mutter in die Bücherei in der Weatherstone Street, acht Häuserblocks weiter. Sie lieh vier Bücher für mich aus – genau die Zahl, die man auf einmal mitnehmen durfte. Es war mir gleich, welche Bücher sie mir brachte; ich verschlang alles. Mein Vater kaufte mir einen Kasten mit Wasserfarben und Pinseln und cremefarbenes Papier sowie ein Buch mit Fotografien von den Blumen, die im Staat New York beheimatet waren, und ermunterte mich zu malen. Er sagte, dass ich als Kind so vielversprechend gemalt hätte und dass eine Lehrerin meiner Mutter und ihm versichert habe, ich hätte ein untrügliches Auge für Farben, Formen und Perspektive. Diese Einschätzung der Lehrerin überraschte mich, denn ich war immer zu ungeduldig gewesen, um zu Hause länger an einer Arbeit zu sitzen, und hatte es vorgezogen, nach draußen zu gehen.
    Meine Eltern schenkten mir auch ein kupferfarbenes Kätzchen. Ich taufte es Zinnober und merkte bald, dass sie taub war, denn egal wie laut ich nach ihr rief, zeigte sie keinerlei Reaktion. Aber das spielte keine Rolle, im Gegenteil, vielleicht hatte ich das Kätzchen wegen seines Gebrechens noch lieber. Ihr wohliges Schnurren und weiches Fell unter meinen Fingern trösteten mich beim Lesen oder wenn ich einfach dalag und zu dem kleinen Fenster an der Wand gegenüber meinem Bett blickte und mich daran zu erinnern versuchte, wie es war, als ich noch gehen und herumspringen konnte.
    Auch einen Phonographen sowie zwei Wachszylinder mit Edward Griegs bekannten viersätzigen Peer-Gynt-Suiten brachten mir meine Eltern. Jeden Morgen, ehe mein Vater zur Arbeit ging, spielte er einen der Zylinder ab, und so erwachte ich zu den Klängen von » Anitras Tanz«, zu » In der Halle des Bergkönigs« oder zu » Solvejgs Lied«.
    Eines Tages bat meine Mutter meinen Vater, die alte Liege von der Veranda in die Küche zu schaffen, sodass wir tagsüber zusammen sein konnten, während sie an ihrer alten Nähmaschine am Küchentisch saß.
    Bevor mein Vater von nun an zur Arbeit ging, trug er mich zu meinem behelfsmäßigen Bett. Meine Mutter rückte den kleinen Tisch mit dem Phonographen und den Wachszylindern daneben, sodass ich das Gerät selbst bedienen konnte. Auch meine Bücher und Malutensilien legte sie auf den Tisch und setzte Zinnober auf mein Bett. Dann zog sie einen Holzstuhl mit gerader Lehne zum Tisch, um auf der handgetriebenen Nähmaschine Taschen oder Ärmel an irgendwelche Kleidungsstücke zu nähen oder den Saum eines Herrenjacketts einzufassen – Heimarbeit für eine kleine Bekleidungsfirma. Inzwischen las ich oder malte, oder spielte mit Zinnober. Nach einer Weile zeigte sie mir, wie man Heftnähte anbrachte, sodass ich diese Vorarbeit für sie übernehmen

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