Der Duft von Tee
bahnt sich seinen Weg in die kleine Tasse. Léon dreht sich um, und ich sehe ihm kurz in die Augen. Sie haben das Enteneiblau eines Herbsthimmels vor dem Regen. Die Augäpfel sind klar und leuchtend, die Wimpern gescheckt, dunkel und grau. Wenn ich sie länger ansehe, wird mir ein wenig schwindlig.
»Ich habe ein Geschenk für dich«, sagt er leise.
Ich schiebe ihm seinen Kaffee hin, dann erinnere ich mich an meine Manieren und komme hinter der Theke hervor und putze mir die Hände an meiner gestreiften Schürze ab.
Er holt eine Gabel mit einem langen Griff und drei dünnen Zinken aus seiner Tasche. Sie sieht gefährlich aus, wie der Dreizack des Teufels.
»Was ist das?«
Er lacht über meinen verwirrten Gesichtsausdruck. »In Frankreich nennen wir das eine fourchette à tremper .« Die Worte rollen von seiner Zunge wie süße Murmeln. Er hält sie vorsichtig in beiden Händen und reicht sie mir. »Ich dachte, du könntest sie gebrauchen, wenn du Pralinen als Kuchendekoration machst oder so etwas.«
»Eine Schokoladengabel?« Ich erinnere mich an den Koch in der Pâtisserie des Aurora, der Pralinen in die dunkle Schokoladenlava getaucht und auf der blassen Marmorplatte gerollt hat. Die Erinnerung lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Léons Augen lächeln mich an. »Ja, eine Schokoladengabel. Ich bin mir sicher, du weißt, wie man sie benutzt. Trotzdem braucht es vielleicht etwas Übung, aber …« Er zuckt mit den Schultern, wie es nur ein Franzose kann, und kräuselt fast launisch die Unterlippe.
Eine Schokoladengabel. Was für ein schönes Geschenk.
»Danke, Léon. Das ist sehr aufmerksam.« Ich nehme sie mit beiden Händen entgegen und beuge mich näher zu ihm hin, um ihm einen Kuss auf jede Wange zu geben. Er riecht nach frisch gebackenem Brot und Zimt.
Über seine Schulter sehe ich den oberen Teil der Tür, die sich klingelnd öffnet und wieder schließt. Es klirrt wie Champagnergläser, mit denen bei einer Hochzeit angestoßen wird.
»Pete!«, rufe ich ein wenig zu fröhlich.
Mein Ehemann sieht von Léon zu mir und wieder zurück. Sein Blick wandert langsam zu der Gabel in meiner Hand. Ein Schlüsselbund hängt an seinem Zeigefinger.
»Was machst du hier?«, frage ich lächelnd.
»Ich dachte, du könntest ein Taxi nach Hause gebrauchen.« Eine Falte hat sich zwischen seinen Brauen gebildet. Er entdeckt Rilla, die ihm zuwinkt. »Hallo, Rilla.«
»Hallo, Pete«, singt sie zurück.
Gigi steckt den Kopf aus der Küche; sie kennt Pete noch nicht und zieht sich schnell wieder zurück. Pete kommt hin und wieder im Lil’s vorbei, aber ich würde ihn nicht gerade als Stammgast bezeichnen. Ich weiß, dass wir uns voneinander entfernt haben, als wären unsere Leben Monde, die unterschiedliche Planeten umkreisen. Pete gehört zum Mars, Grace zur Venus. Doch jetzt ist er hier, und es fühlt sich seltsam an, ihn auf meinem Territorium zu wissen, jenem Stück von Macao, das allein mir gehört. Pete sieht wieder Léon an, sein Blick ist kühl. Zwischen Pete, Léon und mir fließt eine Energie, die ich weder verstehen, geschweige denn erklären kann. Als könnte Pete tief in meine Seele, in mein Herz blicken und diese kleinen jugendlichen Wellen der Begierde spüren.
Léon räuspert sich und geht einen Schritt auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. Er schüttelt Pete mit einem strahlenden Lächeln die Hand, während die andere nach Petes Schulter greift. Vielleicht fällt ihm gar nicht auf, dass Pete leicht zurückweicht.
»Lange nicht gesehen«, grinst Léon.
»Ja. Sie sind Léon, richtig?« Pete anglisiert seinen Namen, dehnt das e , betont das n am Ende. Ich sehe, wie sich Léons Gesicht ein ganz klein wenig verdüstert.
»Léon, ja«, antwortet er und korrigiert sanft Petes Aussprache.
»Ja. Wie geht es Ihnen?« Pete lächelt mit geschlossenen Lippen und leicht angehobenem Kinn. Die Falte auf seiner Stirn ist noch immer da.
»Oh, ausgezeichnet. Das Geschäft läuft gut. Vielleicht nicht so gut wie das Lillian’s, aber ich kann nicht klagen.«
Pete sieht sich im Café um. Marjory schenkt ihm ein Lächeln, das er erwidert.
»Ja, es läuft ziemlich gut«, gibt er zu. In seiner Stimme schwingt eine verwirrende Mischung aus Stolz und Scham mit. Ich habe den Eindruck, als wollte er noch mehr sagen, doch stattdessen blickt er zu Boden.
Dafür ergreift Léon das Wort, er klingt heiter und ungekünstelt. Vielleicht ist er der Einzige von uns, der das Offensichtliche nicht sieht. »Nun, ich wollte mich
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