Der Duft von Tee
sie nicht nebeneinanderlägen. Marjory sieht nicht von ihrer Zeitschrift und ihrem Kaffee auf, doch ich höre, wie sie ein wissendes Lachen unterdrückt und weiß, dass sie zuhört.
Rilla guckt enttäuscht, verletzt. Sie sieht mich kurz an, hofft, dass ich ihr zu Hilfe komme. Ich zucke mit den Schultern; das ist nicht meine Baustelle.
»Also gut …«, stammelt Rilla und richtet sich zu ihrer vollen Größe auf, was aber nicht viel heißt. »Also gut, wie du meinst. Aber das ist deine Meinung.«
Gigi verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. Ihre Lider sind in einem modischen Dunkelgrau geschminkt, eine rote, überdimensionale Uhr baumelt an ihrem Handgelenk. »Okay. Ist ja auch egal«, seufzt sie dramatisch.
Rilla sieht erneut zu mir hin und beißt sich auf die Lippe. Ich zwinkere ihr beruhigend zu. Sie lächelt, erfüllt von neugewonnenem Selbstvertrauen. Als die Türklingel geht, drehen sich beide um.
»’allo!« Die Stimme schwebt durch das Café, und Léon kommt auf die Theke zu, eine Tasche in der linken Hand. Seine Augen funkeln vor Lachen, ein breites Lächeln liegt auf seinen Lippen. Rilla begrüßt ihn höflich, doch Gigi geht auf Distanz, betrachtet ihn argwöhnisch.
»Hallo, Léon, wie geht es dir?«
»Gut, Grace, und dir?« Er beugt sich vor, um mich auf die Wangen zu küssen, sein warmer Atem flüstert in meine Ohrläppchen.
»Schön.« Ich gerate leicht ins Stocken und räuspere mich.
Rilla nimmt mir den Cappuccino aus der Hand und bringt ihn der Kundin, die an einem Fenstertisch darauf wartet. Ich bemerke, wie Marjory den Kopf hebt und zwischen Léon und mir hin und her sieht.
»Léon, das ist Gigi.«
Gigi sieht mich an, dann gibt sie Léon die Hand. Er nimmt sie und schüttelt sie leicht. Sie betrachtet ihn skeptisch.
»Hallo und herzlichen Glückwunsch«, sagt Léon strahlend. Wieso hat er sofort gesehen, dass Gigi schwanger ist? Sie weiß es ganz gut zu verbergen. Mir ist die straffe Tonne ihres Bauchs unter ihren Kleidern allgegenwärtig, doch das mag an meiner eigenen Biografie liegen. Gigi sieht überrascht zu ihm auf und lässt die Schultern sinken, sodass ihr Hemd nach vorne rutscht. Sie murmelt etwas vor sich hin, ihre mandelfarbenen Wangen röten sich leicht.
»Wissen Sie schon, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?«, fügt er hinzu.
Sie blickt schnell auf, ihre Augen verdunkeln sich. Ihre Verwirrung macht der üblichen Hochnäsigkeit Platz. »Keine Ahnung.« Sie dreht sich auf der Ferse um und geht mit ihrem Kaffee zurück in die Küche.
»Ich weiß nicht, ob so viel Koffein gut für das Baby ist«, murmele ich.
»Ach, mach dir keine Gedanken. Celine hat alles gegessen und getrunken, als sie schwanger war, selbst Wein. In Frankreich machen wir nicht so ein Theater.« Er schüttelt vergnügt den Kopf. »Sie erinnert mich an jemanden, dieses Mädchen. Was für eine Persönlichkeit!«
»Persönlichkeit? Sie ist eine Wildkatze. Es tut mir leid, sie kann schon ein wenig … unhöflich sein.« Ich lache.
»Oh, nein«, antwortet er, seine Stimme ist weich wie Butter auf heißem Toast. »Das ist Leidenschaft. Menschen wie sie, die haben Erfolg. Alles wird gut. Sie ist schließlich noch jung.«
Dazu kann ich nur nicken.
»Sag mir, wie läuft das Geschäft?« Er lehnt sich auf die Theke.
»Super. Ich mache inzwischen sogar Gewinn, hättest du das gedacht?«
»Ach, du bist wie gemacht für diese Branche. Es liegt dir im Blut.«
Ich nicke. Unbewusst hat er genau ins Schwarze getroffen. Der Mann. Die Bäckerei. Mama. Ein seltsames Gefühl läuft mir den Rücken bis zum Ende der Wirbelsäule hinunter.
»Möchtest du einen Espresso? Natürlich auf Kosten des Hauses.«
» Oui . Sehr gern. Ich möchte auch eine Schachtel davon kaufen.« Er deutet auf die weißen Macarons mit den roten Kreuzen in der Mitte. »Sie sind nach wie vor meine Favoriten, und wenn ich heute Abend welche mit nach Hause bringe, habe ich einen Stein im Brett, wie man so schön sagt. Sammelst du noch immer Geld? Eine wunderbare Idee.«
Rilla holt eine weiße Pappschachtel aus dem Regal hinter der Theke.
»Ja, allerdings, es gibt jede Woche eine nette, kleine Spende. Es ist nicht viel, aber besser als nichts. Der Einfall stammt von Rilla und dieser Wildkatze da hinten.« Ich gebe frische Kaffeebohnen in die Maschine. Der Duft ist köstlich, berauschend.
»Siehst du, ich wusste doch, dass sie Talent hat.«
Heißes Wasser wird durch die gemahlenen Bohnen gepresst, die Maschine quietscht, ein dunkler Strom
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