Der Duft von Tee
Erklärung bedarf. Pete und ich dagegen könnten genauso gut Fremde sein. Wir sehen uns so gut wie nicht an und sprechen nicht miteinander, von Sex oder nächtlichem Gekuschel ganz zu schweigen. Früher war das anders. Ich weiß, dass ich für den Abstand zwischen uns verantwortlich bin. Ich habe mich von ihm abgewandt und mich ganz in die Arbeit gestürzt. Das Lillian’s ist eine sichere Welt, eine Welt ohne Schmerz. Wenn ich in sein Gesicht sehe, das Gesicht, das ich so gut kenne, sehe ich Wut und Enttäuschung und tief darunter die Trauer. Und das kann ich nicht ertragen.
»Hallo ihr zwei!«, zwitschert Marjory, als das Tor zu den Tennisplätzen scheppernd ins Schloss fällt. Sie ist ganz in Weiß gekleidet, dazu trägt sie eine marineblaue Schirmmütze gegen die Sonne. Sie springt mit der Anmut einer Gazelle auf den Platz, in den langen Armen hält sie einen silbernen Schläger. »Don ist in einer Minute unten. Wir spielen mit einem anderen Paar ein Rundenturnier.«
Sie lässt ohne hinzusehen einen Ball auf ihrem Schläger titschen. Jede Art von sportlicher Betätigung fällt ihr leicht, weil sie sich einfach wohl in ihrer Haut fühlt. Ich stelle mir vor, wie sie auf einer Bühne tanzt, es muss ein unvergesslicher Anblick gewesen sein.
Pete sieht von seinen Dehnübungen zu uns herüber; die Sonne blendet ihn, und er kneift die Augen zusammen. Dann winkt er Marjory zu.
»Willst du etwas Wasser?«, fragt sie, als sie die leere Flasche in meiner Hand sieht.
»Ja, bitte. Die Sonne ist mörderisch. Ich zerfließe.«
»Wem sagst du das! Ich hoffe, du hast heute Morgen Sonnencreme aufgetragen, sonst bist du nämlich sofort total verbrannt.«
Ich werfe einen Blick auf ihre langen Gliedmaßen und kann mir nicht vorstellen, dass sie jemals Sonnenbrand bekommt oder auch nur schwitzt. Auf meinem T-Shirt zeichnen sich bereits dunkle Ringe ab, und meine Oberlippe schmeckt nach Salz. Ich sehne mich nach der dunklen, kühlen Stille des Lillian’s an einem ruhigen Tag. Wir füllen unsere Flaschen an dem Wasserspender im Clubhaus auf. Als wir wieder herauskommen, sehe ich Celine und Léon auf dem Platz mit Don reden. Léons silbernes Haar glitzert im Licht. Pete steht etwas von der Gruppe entfernt und starrt auf seinen Schläger und seine Schuhe hinunter.
Don blickt auf. »Hallo Ladys, wir spielen gegen die Franzosen. Das wird nicht einfach werden.«
» Bonjour !«, trällert Celine, als sie mich sieht.
Sie trägt ein hellblaues Tenniskleid mit weißen Schuhen. Léon stellt sich Marjory vor und kommt zu uns herüber. Trotz des feuchten Schimmers auf meiner Haut küsst er mich auf die Wangen. Ich werde rot und merke, dass Pete zu uns herübersieht. Erleichtert stelle ich fest, dass Don noch mehr schwitzt als ich, ganze Bäche strömen seinen breiten Nacken hinunter und verschwinden unter seinem Hemd. Als er den Spielplan erklärt, wandert Petes Blick von Léon zu mir und wieder zurück.
»Gut«, sagt Don. »Dann spielen Celine und Léon zuerst gegen euch beide. Anschließend spielen wir gegen die Gewinner. Und wer dieses Match für sich entscheidet, kommt in die nächste Runde. Ihr könnt euch schon mal auf etwas gefasst machen. Der Platz gehört mir!«
Stolz hebt er einen schlaffen Arm; sein Bizeps sieht aus, als wäre er auf die Armunterseite gerutscht, und wir müssen alle lachen. Marjory versetzt ihm einen Klaps mit ihrem Schläger und grinst.
Als wir unsere Plätze eingenommen haben, sieht Pete zu mir herüber. »Alles klar?«
»Ja. Es ist nur so verdammt heiß.« Ich wische mir den Schweiß von der Stirn.
»Hmmm.« Er blickt über das Netz, und Léon winkt. Pete erwidert das Winken nicht, lächelt nur stramm und hebt den Kopf. »Ich hätte nicht gedacht, dass er auch kommt.«
»Hä?«, frage ich
»Seid ihr so weit?«, ruft Léon, bevor er mir antworten kann.
»Ja!«, rufe ich zurück.
»Dann zeig mal, was du draufhast«, murmelt Pete leise.
Léon und Celine arbeiten sich schnell einen Vorsprung heraus. Ich verpatze den Aufschlag. Es lenkt mich ab, Léon auf dem Platz zu beobachten, er ist so ruhig und konzentriert. Endlich bekomme ich den Aufschlag auf die Reihe, und der Ball fliegt zu Pete zurück. Er kontert perfekt, trifft außerhalb der Einzellinie, aber innerhalb der Doppellinie, und Léon muss sich anstrengen, ihn noch zu erwischen.
»Gut gemacht!«, ruft Marjory vom Spielfeldrand.
Meine Schläge sind furchtbar, und ich muss mich ständig entschuldigen.
Léon schüttelt nur den Kopf und lacht
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