Der Duft von Tee
Außerdem möchte Pete hingehen, und es würde nicht schaden, ihm diesen Gefallen zu tun, vor allem in Anbetracht der Distanz zwischen uns, die durch den Erfolg des Lillian’s nur noch größer geworden ist. Wir haben seit Langem nichts mehr gemeinsam unternommen.
»Na komm, gib dir einen Ruck.«
»Also gut. Aber dann schuldest du mir was.« Ich deute mit dem nassen Handtuch auf sie, und sie grinst.
Der Lärm von Rilla und Gigi, die in der Küche zanken und lachen, dringt zu uns heraus. Sie werden immer mehr wie zwei ungleiche Schwestern.
Marjory beugt sich über die Theke. »Es klingt, als hätten sie ihren Spaß.«
»Ja. Sie hassen sich, und sie lieben sich.« Ich wische ein paar Zucker- und Kaffeekrümel auf.
»Hast du schon mal das Gefühl gehabt, alles von außen zu beobachten?«, fragt Marjory leise. Ihr Gesicht ist ernst, als hätte sie über diese Frage schon eine ganze Zeit lang nachgedacht.
»Wie meinst du das?«
»Ich weiß nicht so recht. Das Leben in Macao hier … Klar, wir werden nie Einheimische, nie Chinesen werden. Aber sieh dir Rilla an; selbst sie passt besser hierher als wir.«
Als hätte sie gespürt, dass wir von ihr reden, fängt Rilla an zu summen. Gigi brüllt sie an, sie soll den Mund halten, wenn sie nicht will, dass ihr das Trommelfell platzt. Wir sehen uns an und lachen.
Marjory hebt die Tasse an die Lippen, dann stellt sie sie wieder ab. Sie klingt nachdenklich. »Ich wollte nie Kinder, weißt du. Ich wollte ja nicht mal einen Mann …«
Wieder überkommt mich dieses vertraute, schmerzliche Gefühl, doch es ist nicht so heftig wie sonst. Marjory wird rot, als wäre es ihr peinlich, über so persönliche Dinge zu reden. »Dons Töchter halten mich für die böse Stiefmutter, aber ich bin es gewohnt, dass mich andere Frauen hassen. Das macht mir schon lange nichts mehr aus.«
»Nein?«
Sie schüttelt den Kopf. »Es liegt an seiner Exfrau, die ihnen Lügenmärchen erzählt. Da muss ich eben durch. Irgendwann werden sie da schon rauswachsen. Egal, ich liebe Don, und das reicht mir. Aber manchmal denke ich: Was kommt als Nächstes? Ich meine …« Eine tiefe Falte hat sich auf ihrer gebräunten Stirn gebildet. »Hast du das Gefühl, irgendwohin zu gehören, Grace?«
Ich lege das Tuch hin, mit dem ich gerade die Theke abwische. Zuerst denke ich an Pete. An seinen dunklen Schopf, an seine Augen, in denen so viele unausgesprochene Dinge schimmern. Dann an Mama; rotes Haar blitzt auf. An die Kälte von London und den strahlenden australischen Himmel. Wie eine Diashow ziehen die Bilder an mir vorüber.
Marjory sieht mich weiter an. Hinter ihr sitzen mehrere Frauen, schlürfen ihren Kaffee und plaudern. Yok Lan döst in einer Ecke über einer halb ausgetrunkenen Tasse Tee. Ein Kind fährt einen Spielzeuglaster gegen ein Tischbein.
»Hierher?«, antworte ich, als sei es eine Frage, doch ich weiß, dass es so ist.
Sie nickt. Ich sehe, dass sie nachdenkt; sie starrt in die Ferne, die Hände um die Tasse gelegt. Ich frage mich, ob sie jetzt glaubt, dass ich Macao meine. Oder den Ort, an dem Pete ist. Ich sehe, wie sehr sie Don mag; wenn sie von ihm spricht, dann nur voller Liebe. Sie mag eine Prinzessin sein und er ein Frosch, doch sie betet ihn an, so viel ist klar. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen wird mir bewusst, wie sehr ich Pete in letzter Zeit aus dem Weg gegangen bin. Doch wenn ich sage, dass ich hierher gehöre, meine ich genau hierher. Ins Lillian’s. In dieses kleine Quadrat, bestehend aus Café und Küche. Meine kleine Welt.
Ein leichter Sturm beendet schließlich die Reihe von quälend heißen, sonnenklaren Tagen. Laut Wettervorhersage handelt es sich um einen Taifun der Kategorie 3, doch über Hongkong ist er zu einem Taifun der Kategorie 6 angewachsen. Es kommen nur wenige Kunden. Ich beobachte, wie philippinische Dienstmädchen gegen den Wind ankämpfen, Schirme über die Kinderwagen halten, obwohl die eigenen Köpfe ungeschützt sind. Die Planen vor den Baustellen bauschen sich wie die Kopftücher der Damen. Der Wind scheint aus allen Richtungen zu kommen, von links und rechts, von oben und unten. Voller Hoffnung frage ich mich, ob das Tennisturnier morgen abgesagt wird. Gigi lehnt sich über die Macarontheke, den Bauch gegen das kalte Glas gestützt, während ich die Kaffeemaschine sauber mache. Sie hat gerade den Boden fertig gewischt und sieht müde aus.
»Wie war es am Montag bei der Ärztin?«
»Gut.«
»War sie nett?«
»Natürlich.« Sie zuckt
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