Der Duft von Tee
nichts.«
Pete starrt mich einen Moment lang an und fährt sich mit der Hand durchs Haar. Er schiebt mit der Gabel eine Kartoffel auf seinem Teller hin und her. Dann legt er das Besteck langsam weg und atmet aus. Er atmet lange aus, als müsste er die Last der ganzen Welt loswerden, bevor er sich auf die Ellenbogen stützt und die Hände auf den Mund legt.
»Wir müssen reden. Es tut mir leid, Grace.« Die Worte lösen sich nur mühsam aus seiner Kehle.
»Du hättest ihn nicht schlagen dürfen.«
»Das ist es nicht.«
»Was dann?«
Er schweigt.
»Gracie, ich hatte … Sex … mit …«
Es ist plötzlich sehr heiß und stickig.
»Was? Wer …«
»Eine Prostituierte. Im Lisboa.«
Jetzt habe ich das Gefühl, als hätte man mir eine Faust in den Bauch gerammt. »Im Lisboa«, wiederhole ich. Ich greife nach meinem Weinglas, spüre seine glatte, kühle Schwere in meiner Hand. Pete blickt auf den Tisch. Ich starre auf seinen Kopf, auf die Stelle, wo sein Haar langsam dünner wird.
»Im Lisboa«, sage ich noch einmal.
Da sind ein paar graue Haare um den Wirbel, die mir bisher nicht aufgefallen sind. Ich stelle mir seinen Kopf über einer anderen vor, stelle mir vor, dass eine andere Frau das Gleiche sieht wie ich jetzt.
»Herrgott.« Das Wort entschlüpft mir wie ein kleines Gebet. Mir wird schlecht.
»Grace, ich …« Er hebt das Kinn, sodass ich sein Gesicht sehen kann, die Linien und tiefen Falten. Er kommt mir so anders vor, irgendwie fremd. Als hätte er eine Maske abgenommen. Als würde ich sein Gesicht zum ersten Mal sehen. Die vereinzelten Haare zwischen den Brauen und über der Nase, die Falten im Nacken, das Haar über dem Hemdkragen, das dringend geschnitten werden müsste. Er beendet den Satz nicht, sondern sieht mich mit offenem Mund an, als hätte er noch etwas sagen wollen, es aber vergessen.
»Wann?« Meine Stimme klingt, als käme sie von sehr weit weg.
»Im März, es war im März. Ich war betrunken … ich …«
Ich denke an die vielen Abende, an denen er spät nach Hause gekommen ist. Vielleicht war er betrunken. Ich weiß es nicht. Ich habe plötzlich das Gefühl, als hätte ich ihn eine ganze Weile überhaupt nicht wahrgenommen. Meinen Ehemann. Er war mehr wie ein Mitbewohner. Haben wir wirklich seit März so gelebt?
»Grace. Es war ein Fehler. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe.«
Und dann sagt er genau das, was sich keiner von uns zu sagen getraut hat. Er bringt das Thema zur Sprache, das seit Monaten zwischen uns steht. Er spricht langsam, schmeckt jedes bittere Wort, das aus seinem Mund kommt.
»Als du gesagt hast … als der Arzt gesagt hat, dass wir keine …«
Ich erinnere mich an Pete an unserem Hochzeitstag. Das orangefarbene Hemd. Die Hitze auf Bali. Seinen Gesichtsausdruck. Doch dann stelle ich mir seinen Kopf über jemand anderem vor. Sein angespanntes Gesicht, das auf den Körper einer anderen Frau hinunterblickt. Ich habe Bauchschmerzen und kann nur mit Mühe atmen. Ich betrachte alles wie aus der Ferne. Das seltsame Gefühl, das Essen in meinem Mund, meine enge Brust.
»Weil wir keine Kinder haben können, hattest du Sex mit einer Prostituierten?«
»So ist es nicht. Es ist nur, dass … Scheiße. Wir haben nie darüber gesprochen, Grace. Ich meine, über Babys, die Tests. Wir haben über nichts davon geredet.«
»Du wolltest darüber reden ?«
Ich stehe auf, unsicher, was ich als Nächstes tun soll, doch unfähig, still sitzen zu bleiben. Das enge Gefühl in meiner Brust verwandelt sich in ein Brennen. Ich möchte ihm die gemeinsten Dinge an den Kopf werfen; ich möchte ihn so sehr verletzen, das er es nie mehr vergisst. Ich möchte ihm wehtun.
»Du möchtest darüber reden, nachdem du mich … mich … beschuldigt hast, einen anderen Mann falsch angesehen zu haben. Nachdem du mit einer anderen Frau im Bett warst …«
»Grace …«
»Einer Frau, die du für Sex bezahlt hast?«
»Scheiße. Es war nicht … ich meine, es war furchtbar … ich …« Er greift über den Tisch nach meiner Hand, doch ich weiche zurück, mein Stuhl schlittert ein paar Zentimeter über den Boden. In Gedanken schreie ich ihn an. Ich werde dir nie vergeben! Ich bin wie Mama, so aufbrausend und wütend, dass ich zu allem fähig bin. Ich kann ihr Gesicht fast vor mir sehen, blass und wild.
»Bitte, Grace«, sagt er, »geh nicht. Wir müssen … wir müssen …«
»Wir müssen was? Was? Wir müssen was, Pete?« Ich knurre die Worte nur noch und spüre, wie eine stechende
Weitere Kostenlose Bücher