Der Duft von Tee
verrückt, das habe ich nicht gewusst. Gigi, wenn du die Beförderung verdient hast, hättest du sie auch bekommen müssen«, sage ich mit Nachdruck.
Sie sieht mich ironisch an. »Du kapierst das nicht, Grace. Das hier ist nicht London.« Sie schiebt sich ein rosa Macaron in den Mund und schließt für eine Sekunde die Augen, als die Schale mit einem leisen Knacken auf ihrer Zunge zerbricht. »Aber egal. Mir gefällt es hier sowieso besser. Ich wünschte, ich könnte so gute Macarons machen wie du.«
Ich weise das unerwartete Kompliment zurück. »Hey, du isst unseren ganzen Gewinn auf.« Ich lache und schlage sie auf die Hand.
Sie grinst, dann blickt sie in die Ferne, und ihre Stimme wird leise. »Früher wollte ich nur haufenweise Geld machen und mir schöne Sachen kaufen. Aus diesem Grund arbeiten Frank und alle anderen auch in den Kasinos. Meine Mutter denkt, dass Geld der einzige Grund ist, um überhaupt etwas zu tun. Sie würde mir niemals eine Ausbildung erlauben, das weiß ich. Vor allem keine, die mit Kochen zu tun hat. Sie hält nichts von der Gastronomiebranche. Man steckt Geld rein, und es kommt nie wieder raus.«
Ich beiße mir auf die Zunge und denke an Mama. Auch ich durfte nicht studieren und fühlte mich gefangen. Ich sehe zu Gigi hinüber, deren Bauch so groß und deren Augen so dunkel sind.
Sie redet weiter, als hätte das Macaron ihr die Zunge gelöst. »Habe ich dir jemals von dem Bild von der Louis-Vuitton-Handtasche erzählt, das neben meinem hing?«
»Nein.«
»Es hing zwei volle Jahre dort«, sagt sie wehmütig.
Diese Handtaschen kosten ein Vermögen; sie werden in diesem Teil der Welt wie Fabergé-Eier gehandelt. Niemand würde jemals eine solche Handtasche neben sich auf den Boden stellen. Die feineren Restaurants bieten sogar kleine Stühle an, um das wertvolle Stück darauf abzustellen.
»Hast du die Tasche denn schließlich bekommen?«
»Ja. Ich habe sie mir von dem Bonus gekauft, den wir vor ein paar Monaten von der Regierung bekommen haben. Davon und von ein paar Ersparnissen.« Sie trinkt einen Schluck Tee.
Ich ziehe die Brauen hoch. »Louis Vuitton? Okay, schön für dich. Die ganze Arbeit; du musst sie doch über alles lieben.« Ich habe sie noch nie am Haken in der Küche hängen sehen. Sie und Rilla bringen normalerweise abgewetzte Rucksäcke mit. Gigi hat ihren mit modischen Anstecknadeln und Buttons bestückt.
»Und wo ist sie?«, frage ich.
»Ich benutze sie nicht. Einmal hätte ich es beinahe getan, aber dann konnte ich mich doch nicht dazu überwinden, mit ihr auf die Straße zu gehen. Manchmal packe ich sie aus und sehe sie an. Sie ist umwerfend, aber …« Sie seufzt. »Ich fühle mich nicht so, wie ich gedacht hätte, dass ich mich fühlen würde. Ich dachte, alles wäre perfekt, wenn ich nur diese Handtasche hätte.«
Sie wirft einen flüchtigen Blick auf ihren Bauch und sieht ein wenig traurig aus. Dann wechselt sie das Thema. »Egal, wie auch immer. Ich muss die Lieferanten wegen des Mandelpulvers anrufen. Es taugt nichts, findest du nicht auch? Wenn sie uns weiter das billige Zeug liefern, mache ich ihnen die Hölle heiß.«
Sie geht in die Küche, und ich sehe ihr hinterher, dann greife ich nach einem Macaron und schiebe es mir vorsichtig in den Mund. Die krosse Schale löst sich in sanfte Süße auf. Aber es hat auch eine leicht bittere Note. Nicht stark, nur ein Hauch wie bei Marzipan. Den meisten Menschen würde sie gar nicht auffallen. Mag sein, dass sie sich manchmal wie ein leichtsinniger Teenager benimmt, aber sie hat den Gaumen einer Spitzenköchin.
Abgesehen von ein paar abgebrochenen Ästen und zerrissenen Planen scheint der nächste Morgen den Sturm des Vortags völlig vergessen zu haben. Die Sonne steht leuchtend orange am Himmel, und die Luft ist zäh wie Sirup. Noch bevor wir bei den Tennisplätzen ankommen, fühle ich mich bar jeder Energie; die feuchte Hitze macht mich lethargisch und langsam. Pete dagegen kann es kaum abwarten. Er lehnt an dem Netz und dehnt seine Oberschenkelmuskeln, erst den einen und dann den anderen. Er ist immer so ehrgeizig. Heute Morgen hat er einen animalischen Geruch an sich, kräftig und scharf, von dem mir gleichzeitig schwindlig und übel wird. Nach und nach treffen die anderen ein. Es sind eindeutig Ehepaare, selbst wenn sie sich nicht berühren oder küssen oder an den Händen halten. Sie sehen sich flüchtig an, tragen einander die Taschen, sprechen die gleiche verkürzte Sprache, die keiner weiteren
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