Der Duft
verendete qualvoll.
Sie musste ihn finden!
Joan zwang sich, das Grauen zu verdrängen und sich auf diese Aufgabe zu konzentrieren. Ihr war übel. Ihre Hände zitterten,
und ihre Knie fühlten sich an, als seien sie aus Gummi, aber sie schaffte es irgendwie, aufrecht stehen zu bleiben. Schließlich
fand sie Blutspuren an den niedrigen Büschen und Farnen. Vorsichtig folgte sie der Spur den Berg hinauf.
Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit Gruppe 5. Sie war damals erst ein paar Wochen in Karisoke gewesen und hatte
sich ziemlich ungeschickt angestellt. Statt durch lautes Zweigeknacken auf sich aufmerksam zu machen, hatte sie sich an die
Gruppe angeschlichen, um sie ungestört zu beobachten. Sie hatte damals geglaubt, das Verhalten der Gorillas auf diese Weise
besser studieren zu können. Doch sie war der Gruppe zu nahe gekommen, und Sam hatte sie sehr schnell hinter einem Busch entdeckt.
Das daraufhin losbrechende Spektakel hatte sie bis ins |18| Mark erschüttert. Die ganze Gruppe hatte sich hinter dem Silberrücken versammelt, der mit lautem Gebrüll auf sie losgegangen
war. Joan hatte sich, ihr Ende vor Augen, auf dem Boden zusammengekauert. Doch Cato, der Menschen offenbar nicht für eine
ernste Bedrohung hielt, hatte ganz dicht vor ihr innegehalten, verächtlich geschnaubt und sich dann abgewandt. Er hatte ihr
ein für alle Mal gezeigt, dass Gorillas ein Anschleichen nicht tolerierten. Joan hatte diesen Fehler nicht noch einmal gemacht.
Die Blutspur führte in ein Dickicht aus Farnen und Bambus. Etwas wie ein heiseres Röcheln drang daraus hervor. Joan verharrte.
Was sollte sie tun? Sich einem verletzten Gorilla zu nähern, war extrem gefährlich. Aber sie konnte Sam nicht einfach in dem
Gebüsch verenden lassen!
Vorsichtig bog sie einige große Farnwedel beiseite. Dahinter erstreckte sich eine breite Spur niedergedrückter Pflanzen und
abgebrochener Bambusstauden bis zu einem großen Busch, dessen Blattwerk eine natürliche Höhle formte. Darin hockte Onkel Sam,
nur etwa ein Dutzend Meter entfernt. Seine Augen waren geweitet. Um die schwarzen Pupillen waren rötlich-weiße Ränder zu erkennen.
In seiner Hand hielt er etwas, das wie ein welkes Bananenblatt aussah. Nein, es war ein Stück Stoff – vielleicht ein Kleidungsfetzen
von einem der Mörder. Der Gorilla bleckte die Zähne und ließ ein kehliges Knurren ertönen, verhielt sich ansonsten aber ganz
ruhig.
Langsam näherte Joan sich dem Tier bis auf etwa acht Meter, wobei sie leise, beruhigende Worte murmelte. Auch Sams Fell war
blutverklebt, aber sie konnte nicht erkennen, wie schwer seine Verletzungen waren. Offene Fleischwunden waren nicht zu sehen.
Plötzlich sprang er auf, stieß ein durchdringendes Brüllen aus und rannte auf Joan zu.
Einen Moment war sie zu erschrocken, um zu reagieren. |19| Das Tier konnte nicht sehr schwer verletzt sein, denn es bewegte sich behände und ohne erkennbare Beeinträchtigung. Ihr wurde
klar, dass es völlig verstört sein musste. Gorillas waren eigentlich sehr friedliche Lebewesen, aber das Vertrauen, das Joan
mit der Gruppe über viele Monate aufgebaut hatte, war sicher durch die Wilderer zerstört worden. Der Gorilla musste sie für
einen grausamen Feind halten.
Sie wusste, sie würde gegen das Tier, das mehr als doppelt so schwer war wie sie und über messerscharfe Reißzähne verfügte,
keine Chance haben. Onkel Sam würde sie töten.
Ein Schuss fiel.
Sam hielt mitten in seinem Angriff inne und starrte sie verwundert an. Joan wurde erst nach einer Sekunde klar, dass sie selbst
vor Schreck in die Luft geschossen hatte.
Sie wartete nicht, bis der Gorilla sich von seinem Schock erholt hatte, sondern drehte sich um und rannte den Abhang hinab.
Hinter sich hörte sie das Brechen von Zweigen und das Keuchen und Knurren des wütenden Tieres. Erneut schoss sie in die Luft,
aber diesmal ließ sich der Gorilla nicht aufhalten. Er stieß nur einen langgezogenen Wutschrei aus. Er war jetzt so nah, dass
Joan glaubte, seinen Atem im Nacken zu spüren.
Sie stolperte, schlug hin, rappelte sich auf. Sie hatte keine Chance, Onkel Sam zu entkommen, der sich in seiner vertrauten
Umgebung viel schneller und sicherer bewegen konnte. Aber sie würde lieber sterben, als ihren Revolver gegen den letzten Überlebenden
der Gruppe 5 zu richten und selbst zur Mörderin an einem dieser großartigen Geschöpfe zu werden.
Plötzlich gab der Boden unter ihr nach. Hinter
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