Der Duft
hoffnungsvoller Politiker, dessen Karriere zerstört war und der
nun mit einer Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung zu rechnen hatte. Bilanz eines einzigen Abends, der in die Geschichte
eingehen würde als der »Wahnsinn von Huygensville«.
»Würden Sie mir bitte erklären, warum sich ein Major der Army für das hier interessiert?«
Harrisburg öffnete die Augen und erwiderte den Blick von Sheriff Parker. Er war nicht sehr groß, gegenüber Harrisburg wirkte
er geradezu zwergenhaft. Doch sein Gesicht zeigte Härte und Entschlossenheit. Viele Menschen wären an der Unerklärlichkeit
dessen, was hier geschehen war, verzweifelt. Doch Parker, nur ein Provinzpolizist, schien entschlossen, sich der Herausforderung
zu stellen. Nicht, |419| dass er viel tun konnte – die Ermittlungen hatte natürlich das FBI übernommen. Aber er wollte sich offenbar seine eigene Version
der Wahrheit erarbeiten.
Die Medien hatten wie üblich bereits eine Menge Erklärungen parat. Ein Attentäter sei unter den Versammelten gewesen, vermuteten
die seriöseren Zeitungen, und beim Eingriff der Sicherheitskräfte sei es zu einer Schießerei und anschließender Massenpanik
gekommen. Brooke sei offensichtlich durchgedreht und habe wild um sich geschlagen. Die Boulevardpresse – je nach politischer
Couleur – vermutete eine Verschwörung linksgerichteter Gruppen oder eine gezielte Aktion des Ku-Klux-Klans, der in der Gegend
um Huygensville angeblich besonders aktiv war. Im Internet kursierten Gerüchte um Drogen im Bier und um einen geheimnisvollen
Virus, der Menschen dazu brachte, den Verstand zu verlieren.
»Ich leite die Abteilung für psychologische Aufklärung«, antwortete Harrisburg. »Wir untersuchen alle Vorfälle, in denen es
zu massenhafter Gewalt kommt.«
»Sie glauben, jemand könnte die Menschen hier aufgestachelt haben?«
Harrisburg überlegte einen Moment, bevor er antwortete. »Ich kann es zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausschließen.«
»Aber wie? Die Veranstaltung wurde aus mehreren Perspektiven vollständig gefilmt. Die Gewalt brach im Zentrum aus, dicht vor
der Bühne, und breitete sich dann wellenförmig aus. Auf den Videos ist nichts, absolut gar nichts erkennbar, das die Ursache
gewesen sein könnte. Die Leute fingen plötzlich einfach an, wild um sich zu schlagen.« Er stockte, als fiele es ihm schwer,
weiterzusprechen. »Ich kenne die Menschen, die da vor der Bühne standen, zumindest einige von ihnen. Die meisten sind Farmer
aus der Gegend. Timmy Robbins habe ich gesehen, das ist der |420| Sohn des Besitzers von unserem Eisenwarengeschäft. Ein netter Bursche, tut keiner Fliege was zuleide. Oder Harry Maypole,
der Leichenbestatter. Harry ist über sechzig und hat, so lange ich ihn kenne, noch nie einen Tropfen Alkohol getrunken. Was
kann solche Menschen dazu bringen, sich gegenseitig umzubringen?«
Harrisburgs Gedanken wanderten zurück zu den Ereignissen vor fast fünf Jahren. Die Duft-Affäre war niemals vollständig aufgeklärt
worden. Corlines Selbstmord hatte dies verhindert. Man hatte auf seiner Ranch in Texas Spuren eines chemischen Labors gefunden,
das offenbar in aller Eile abgebaut worden war. Vieles deutete darauf hin, dass Corline der Kopf einer Verschwörung war, doch
es war nicht gelungen, weitere Mitglieder zu identifizieren, geschweige denn, sie zu überführen. Wie er an das Geheimnis des
Duftstoffs gekommen war, darüber ließ sich nur spekulieren. Die wahrscheinlichste Erklärung war, dass ein inzwischen untergetauchter
V-Mann der CIA namens Kadin ihm von dem Pheromon berichtet und vielleicht eine Probe oder Unterlagen über seine Herstellung
gestohlen hatte. In den Akten und Datenbanken der CIA ließen sich jedoch keine Hinweise darauf finden.
Kurz nach dem missglückten Anschlag auf die Friedenskonferenz hatte eine Spezialeinheit der US-Luftwaffe Ondomars Lager im
Südsudan angegriffen und vernichtet. Unter den Toten war auch die Leiche eines Deutschen namens Andreas Borg entdeckt worden.
Ondomar selbst war wohl davongekommen – vermutlich hatte er sich zum Zeitpunkt des Angriffs noch in Saudi-Arabien aufgehalten.
Die CIA hatte ihre Ermittlungen auf die Firma Olfana und ihren Geschäftsführer Scorpa konzentriert, jedoch keine Hinweise
darauf gefunden, dass er von Borgs Machenschaften gewusst hatte oder gar selbst daran beteiligt |421| gewesen war. Auch alle weiteren Ermittlungen waren letztlich im Sande
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