Der Duke, der mich verführte
„Geh wieder ins Bad. Zieh dein Kleid aus. Ich … hole dir etwas zum Anziehen.“ Allerdings hatte er keinen Schimmer, was, hatte er sich doch vor acht Monaten aller weiblichen Bediensteten entledigt.
„Du willst, dass ich mein Kleid ausziehe?“ Justine lachte wieder und machte eine wegwerfende Geste, die ihn von oben bis unten mit Wasser bespritzte. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, du versuchst, mich noch vor der Hochzeit ins Bett zu bekommen. Und wenngleich mir das schmeichelt, hast du es dir doch nicht verdient, oder?“
Aha. War nicht sie es gewesen, die sich ihm ursprünglich angeboten hatte? Eindringlich sah er sie an. „So hatte ich es nicht gemeint.“
„Ich mag jung und unbedarft sein, Bradford, aber dumm bin ich nicht.“
Das wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Er kämpfte zwar noch immer gegen seine verfluchten Triebe an, aber er hatte sich verändert. Das sollte sie nur wissen.
„So, jetzt hörst du mir mal zu.“ Radcliff wies mit dem Finger auf sie. „Die letzten acht Monate habe ich damit zugebracht, mich zu bessern. Ich bin ein gewandelter Mann – ein Mann, der weit größerer Beherrschung fähig ist, als du sie mir jemals zutrauen würdest.“
„Ach?“, sagte sie nur und hob beide Brauen.
„Ja. Ach. “ Mutig trat er einen Schritt vor und deutete an ihr hinab. „Ich könnte dich jetzt auf der Stelle entkleiden und dann davongehen, ohne dich eines weiteren Blickes zu würdigen. Soll ich es dir zeigen? Komm, ich zeige es dir. Dir und mir.“
Er war so sehr von sich und seiner Fähigkeit, sich in der Gewalt zu haben, überzeugt, dass er fast wünschte, sie würde ihn auf die Probe stellen.
Doch stattdessen machte sie so schnell einen Schritt zurück, dass Wassertropfen in alle Richtungen sprühten. „Sind solch derbe Späße deine Art, mich von deiner Liebe und Zuneigung zu überzeugen? Wenn ja, hast du dein Ziel verfehlt!“
„Liebe“, erwiderte er abfällig. „Liebe und … Herrje, Justine, ich hatte geglaubt, du – gerade du als Tochter eines grundvernünftigen, aufgeklärten Mannes, eines Wissenschaftlers – hättest mittlerweile begriffen, dass Liebe und Zuneigung nichts weiter als romantische Hirngespinste sind, die von der Natur überhaupt nicht vorgesehen sind. In der wirklichen Welt gibt es keine Liebe.“
Erstaunt blickte sie ihn an und strich sich ein paar nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht. „In welcher Welt lebst du denn? Trotz meiner wissenschaftlichen Erziehung glaube ich an Gefühle wie Liebe und Zuneigung. Warum? Weil es Gefühle braucht, Geist, Empfindung, Verlangen und Leidenschaft, um einem anderen seine Seele zu offenbaren.“
Er verdrehte die Augen. Mit solchem Unsinn war seine Mutter seinem Vater auch immer gekommen, derweil sie ihm eifrig Hörner aufgesetzt hatte. „Man reiche mir einen Dolch und verschone mich damit, mir derlei noch länger anhören zu müssen.“
Aus schmalen Augen schaute sie ihn an. „Mir scheint, dass du weder mich noch meine Ansichten oder Gefühle respektierst.“
„Jemanden zu respektieren heißt nicht, stets mit ihm einer Meinung zu sein.“ Radcliff ging an ihr vorbei zum Wandschrank und öffnete ihn. Wahllos zog er ein Nachthemd heraus und reichte es ihr. „Hier. Streif das über.“
Mit gesenktem Blick schüttelte sie den Kopf und wandte sich ab.
Argwöhnisch beäugte er sie. Sie schien tatsächlich den Tränen nah zu sein. Zum Henker mit den Frauen und ihrem Talent, ihm den Verstand weich und den Schwanz hart werden zu lassen!
Er atmete tief durch. „Gib mir fünf Tage. Wenn dein Vater bis dahin nicht auf freiem Fuß ist, wird die Hochzeit abgesagt, und du schuldest mir nichts. Keine Sorge, ich werde auch dann nicht aufhören, mich für seine Freilassung einzusetzen. Wie wäre das? Genügend Respekt?“
Sie richtete den Blick wieder auf ihn. Diesmal verwundert.
Eine Verwunderung, die der seinen in nichts nachstand. Was hatte er ihr da nur vorgeschlagen? Sollte er binnen fünf Tagen nichts erreicht haben, stünde er ohne Braut da. Und ja, obwohl er mehr als genug andere Frauen kannte, die trotz seiner unschönen Narbe und seines zweifelhaften Rufs liebend gern die Duchess gegeben hätten, war doch keine von ihnen auch nur annähernd so schön und gescheit wie Justine. Oder so unerbittlich. Er brauchte mehr als ein schönes Gesicht an seiner Seite. Er brauchte eine Frau mit einer ehernen Seele. Einer Seele, die so schnell nichts erschütterte.
Radcliff wedelte mit dem Nachthemd.
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