Der Duke, der mich verführte
ihn. Unablässig. Die Versuchung war groß, zurück in ihr Gemach zu stürmen und Fantasien Taten folgen zu lassen. Schlimmer noch: Je länger er darüber nachdachte, desto größer wurde das Verlangen, sie von hinten zu nehmen, wie sie es ihm zu Beginn angeboten hatte.
Es klopfte an die Tür.
Er fuhr herum. „Wer da?“
„Euer Gnaden.“ Es war der Butler.
Radcliff atmete erleichtert auf. Ein Glück, dass es nur Jefferson war! Er rückte seinen Mantel zurecht und trat zur Tür, schob den Riegel zurück und machte auf. „Was gibt es?“, fragte er, als er die versiegelte Nachricht bemerkte, die sein Butler ihm reichte.
„Dies wurde soeben mit der Bitte um sofortige Kenntnisnahme und Erwiderung abgegeben.“ Jefferson, noch immer in voller Livree, hob die Lampe, die er in der anderen Hand hielt, etwas höher, damit der Lichtschein auf den Brief fiele. Ein rotes Siegel mit dem Wappen seines Bruders prangte auf dem Umschlag.
Ungläubig starrte Radcliff darauf. Dies wäre das erste Mal, dass Carlton sich bei ihm gemeldet hätte, nachdem er wütend in sein Haus gestürmt war und ihm die Schuld an allem gegeben hatte, was Matilda zugestoßen war. Am liebsten hätte Radcliff den Brief gleich verbrannt und alles vergessen, was jemals vorgefallen war, doch die Neugier war stärker. Er wollte wissen, was sein Bruder ihm zu sagen hatte, wenngleich es zwecklos war, weitere Worte über die Angelegenheit zu verlieren.
Er nahm den Brief entgegen, zögerte kurz, brach dann das Siegel. Im schwachen Schein von Jeffersons Lampe faltete er das schwere Papier auseinander. Seine Brauen schossen in die Höhe. Nicht Carlton hatte ihm geschrieben, sondern Carltons Mätresse … Matilda.
Euer Gnaden,
nicht ein Tag vergeht, an dem ich nicht an Sie denken würde und an das Leid, das Sie meinetwegen erdulden mussten. Ich muss gestehen, dass es mit Carlton seit besagtem Abend nicht gerade leicht war. Derzeit ist es sogar schlimmer als je zuvor. Wenngleich ich, meiner Umstände wegen, all die Monate bei ihm ausgeharrt habe, kann ich eine weitere Nacht doch nicht ertragen. Ich möchte nicht Ihr Mitleid erflehen, habe aber sonst niemanden, dem ich trauen könnte. Ich brauche Geld und ein Dach über dem Kopf, bis meine Lage sich verbessert hat. Wenn es Ihnen möglich ist, suchen Sie mich bitte noch heute Nacht in der Craven Street 14 auf. Gott segne Sie.
Ihre in ewiger Freundschaft ergebene
Matilda Thurlow
Ironie des Schicksals, dass ein solches Schreiben ihn ausgerechnet in seiner Hochzeitsnacht ereilen musste. Wenn er nur den Selbsthass besiegen könnte, der noch immer in ihm schwelte. Diese Abscheu, die er vor sich selbst empfand, wusste er doch, dass er, und nur er allein, Schuld an allem hatte. Dass er hätte verhindern müssen, was Matilda geschehen war, was sie von den sechs Männern, die über sie hergefallen waren, zu erdulden gehabt hatte. Er schluckte schwer. Obwohl Matilda wahrlich die Letzte war, die er jetzt zu sehen wünschte, schuldete er es ihr doch, ihrer Bitte nachzukommen. Was sie von ihm erbat, war wirklich nicht zu viel verlangt. Denn letztlich war es auch seinen unermüdlichen Nachstellungen zu verdanken, dass es nicht nur mit ihr, sondern auch mit ihm so weit gekommen war.
Radcliff faltete den Brief wieder zusammen und gab ihn Jefferson zurück. „Verbrennen Sie ihn. Sowie das erledigt ist, lassen Sie die Kutsche vorfahren. Sollte meine Frau …“, welch wunderlicher Gedanke, dass er nun eine hatte, „… sollte sie sich während meiner Abwesenheit nach mir erkundigen, sagen Sie ihr, ich möchte bis zum Morgen nicht gestört werden. Haben Sie das verstanden?“
„Jawohl, Euer Gnaden.“ Jefferson dienerte, wandte sich um und entschwand den Korridor hinab.
Radcliff marschierte zurück in sein Zimmer, riss sich den Mantel vom Leib und warf ihn zu Boden. Da er nur zu gut wusste, wozu Carlton fähig war, graute ihm davor, in welchem Zustand er Matilda antreffen würde.
Rasch zog er sich an und stieg in seine Stiefel. Seine Schritte hallten auf dem Dielenboden wider, als er hinüber an den Waschtisch trat, sich die Hände und das Gesicht mit kaltem Wasser wusch. Noch immer haftete der Duft von Justines Schoß auf seiner Haut.
Er hielt inne und betrachtete sein Spiegelbild. Wasser tropfte ihm vom Kinn. Schwarze Augen starrten ihm entgegen, und er erkannte sich kaum wieder. Es war, als sähe er einen Fremden vor sich. Was in gewisser Weise ja auch stimmte.
Einst hatte er ein schönes, ansprechendes Gesicht
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