Der Duke, der mich verführte
Radcliff ließ den Butler los und taumelte zurück. Wieder stieg Übelkeit in ihm auf, zerrte an seinen Eingeweiden, schnürte ihm die Kehle zu. „Wo ist sie?“, stieß er hervor.
„Die Duchess und Miss Thurlow sind heute Morgen zeitig aufgebrochen, Euer Gnaden. Vor zwei Stunden, um genau zu sein.“
Vor Entsetzen schnappte er nach Luft. Wollte sie ihn etwa verlassen? „Aufgebrochen? Wohin?“
„Miss Thurlow brauchte ihrer Umstände wegen neue Kleider. Gewiss entsinnen Sie sich, dass sie ohne Gepäck hier eintraf, und sie wünschte nicht, dass man ihre Sachen von Lord Carlton holte.“
„Wollen Sie damit etwa sagen, dass meine Frau mit Miss Thurlow einkaufen gegangen ist?“, fragte er begriffsstutzig. „Jetzt? Am helllichten Tag?“
Jefferson musterte ihn besorgt. „Gewiss, Euer Gnaden. Denn das ist die Zeit, zu der die Läden gemeinhin geöffnet haben.“
Verdammt. Das war alles seine Schuld. Was zum Teufel hatte er sich nur dabei gedacht, sich gestern Abend um Sinn und Verstand zu trinken? „Hat sie gesagt, wo sie hingeht?“, fragte er.
„Nein, Euer Gnaden.“ Jefferson griff in seine Weste und zog einen gefalteten Briefbogen hervor. „Aber dies hat die Duchess für Sie dagelassen.“
Radcliff riss ihm den Brief aus den behandschuhten Händen. Ihm graute davor, ihn zu lesen, und doch gierte er nach jedem Wort. Zitternd faltete er ihn auseinander und las:
Euer Gnaden,
Miss Thurlow und ich haben beschlossen, diesen herrlich sonnigen Tag außer Haus zu verbringen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich in einigen Läden werde anschreiben lassen.
Mit allem Respekt,
deine Duchess of Bradford
Mit allem Respekt? Ihm wollte nicht gefallen, wie sie das geschrieben hatte. Während alle anderen Worte tadellos und ordentlich zu Papier gebracht waren, schien Respekt in Hast hingekritzelt worden zu sein. So, als hätte sie sich nach langem Überlegen dazu durchgerungen und hatte es dann rasch hinter sich bringen wollen. Als hätte sie nicht gewusst, was sie sonst hätte schreiben sollen. Als wäre sie ihm etwas schuldig, und das war das Einzige, was ihr eingefallen war. Respekt.
Er starrte auf den Namen, den Titel, den er ihr gegeben hatte, den Namen seiner Frau, seiner Justine. Bedächtig strich er mit einem Finger darüber. Was kümmerte es ihn, dass Jefferson ihn so sah.
Dann atmete er tief durch und dachte kurz nach. Er glaubte zu wissen, wohin Justine gegangen war. Und er hoffte, dass er recht hatte. Der ton war in solchen Belangen unversöhnlich. Zudem durfte Carlton nichts davon erfahren, sonst stünde der Bastard gleich morgen hier vor der Tür.
Radcliff faltete den Brief wieder zusammen und richtete dann das Wort an seinen Butler. „Lassen Sie anspannen, Jefferson. Ich wünsche in zwanzig Minuten aufzubrechen.“
„Jawohl, Euer Gnaden.“ Jefferson verbeugte und entfernte sich.
Von jetzt an würde er Justine beweisen, dass er sich ändern konnte. Und wenn es ihn umbrachte.
17. Skandal
Die Gesellschaft neigt dazu, von unseren Kleidern auf unsere Seele zu schließen. Weshalb wir gut daran tun, beides pfleglich zu behandeln.
aus: Wie man einen Skandal vermeidet
The Nightingale, 28 Regent Street
D urch eine Reihe glänzender Schaufenster blickte man in einen Raum in sattem Smaragdgrün mit Zimmerpalmen, Kronleuchtern aus venezianischem Kristall und Verkaufstischen aus dunklem Mahagoni, darauf weißer Marmor.
Justine trat unter die Kolonnaden, fort von dem Gedränge der Pferde und eleganten Kutschen, die hinter ihr und Matilda über das Kopfsteinpflaster rumpelten.
Beim Anblick all der gut gekleideten Damen und Gentlemen, die gemächlich unter den Kolonnaden flanierten, fasste sie Matilda beim Arm, und gemeinsam schoben sie sich durch die Menge zum The Nightingale.
An der Tür blieb Matilda stehen und legte eine Hand an ihren Bauch. „Alle werden mich anstarren, trotz Hut und Schleier. Sie werden Fragen stellen.“
Justine drückte ihr beruhigend den Arm und zog sie weiter. „Sollen sie doch, Mrs Porter. Wir wollen nur hoffen, dass es nicht noch eine weitere Mrs Porter in London gibt, der missfallen könnte, dass wir ihren Namen so unnütz im Munde führen.“
Matilda lachte und warf ihr einen begeisterten Blick zu. Dann flüsterte sie: „Das ist wirklich sehr lieb von Ihnen. Ich bin richtig aufgeregt! Im Nightingale hatte ich schon immer mal einkaufen wollen, aber natürlich war es viel zu teuer. Carlton würde es niemals zugeben, aber seine Mittel sind doch recht begrenzt.
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