Der Duke, der mich verführte
Eine Elle Stoff kostet hier schon etliche Pfund, und selbst Carlton, so blöd er auch sonst sein mag, weiß, dass es für ein Kleid mehr als eine Elle braucht.“
Lachend zog Justine sie weiter, und gemeinsam betraten sie den Laden, in dem Damen mit teuren Hüten, Kleidern und Kutschenschals mit Kennermiene und geschulten Fingern lang ausgebreitete Stoffbahnen feinsten Seidenbrokats, Musselins, Crêpes und Moirés begutachteten.
Eine junge dunkelhaarige Frau kam hinter dem Ladentisch hervor zu ihnen geeilt. Schimmernde Korkenzieherlocken tanzten unter den weißen Seidenblumen und gelben Satinbändern, die kunstvoll in ihr dunkles Haar geflochten waren und farblich perfekt zu ihrem ausladenden Kleid passten.
Vor ihnen blieb sie stehen und lächelte sie beide an. In der linken Wange zeigte sich ein charmantes Grübchen. „Einen schönen guten Tag. Ich bin Miss Wyatt. Wie kann ich Ihnen dienen?“ Ihr Lächeln verblasste, als sie Matildas Gesicht hinter dem Schleier erblickte.
Rasch ließ Justine Matildas Arm los und machte einen beherzten Schritt auf das Ladenmädchen zu, beugte sich so unschicklich nah zu ihr, dass keine der mit ihren Kleiderstoffen beschäftigten Damen auch nur ein Wort verstehen konnte. „Miss Wyatt“, sagte sie leise. „Meine liebe Freundin, Mrs Porter, hatte ein kleines Malheur von der Hand ihres Gatten zu erleiden, doch möchte ich Sie bitten, die Gute deswegen nicht zu verurteilen. Ich möchte ihr ein paar Kleider zum Geschenk machen, die ihren Umständen angemessen und schmeichelhaft sind. Ich werde keine Kosten scheuen, und es soll Ihnen nicht zum Nachteil sein, wenn Sie meinem Wunsch mit der größten Umsicht nachkommen.“
Miss Wyatt musterte Matilda mit prüfendem Blick und wandte sich wieder an Justine. „Die Arme, allerdings, und Umsicht versteht sich für mich von selbst, doch wer, wenn ich fragen darf, wird dafür zahlen?“
Justine öffnete ihr perlenbesticktes Retikül und zückte eine der Visitenkarten, die Radcliff jüngst für sie geordert hatte. Sie reichte Miss Wyatt die cremeweiße Karte mit den feinen, goldgeprägten Lettern. „Die Rechnung geht an diese Adresse.“
Miss Wyatt nahm die Karte entgegen, warf einen routinierten Blick darauf und strahlte übers ganze Gesicht, ehe sie Justine mit einem formvollendeten Knicks bedachte. „Es wäre uns eine unglaubliche Ehre, Euer Gnaden zu Diensten zu sein. Wenn Sie wünschen, werde ich Mrs Porters Maße im Separee nehmen, wo Sie ungestört sind.“
Justine musste sich ein Grinsen verkneifen. Welche Beflissenheit ein Name doch bewirken konnte!
„Ich kann es kaum noch erwarten, meine neuen Kleider zu sehen!“, rief Matilda ganz außer sich vor Begeisterung und zupfte den weißen Schleier, der ihr Gesicht verbarg, zurecht. „Vielen Dank, Justine.“
„Keine Ursache. Euer Gnaden zahlt die Rechnung.“ Justine griff nach Matildas Hand und drückte sie. Ehrlich gesagt war sie nicht minder dankbar für diesen kleinen Ausflug. Es war nämlich schon eine Weile her, dass sie so unbeschwert und sorglos gewesen war. „Bleiben Sie noch kurz bei Miss Wyatt. In Ihrem Zustand sollten Sie nicht unnötig herumlaufen. Ich gehe und sage dem Kutscher Bescheid, dass er vor der Tür vorfahren soll.“ Justine nickte dem Ladenmädchen freundlich zu. „Haben Sie vielen Dank, Miss Wyatt.“
„Es war mir ein Vergnügen, Euer Gnaden. Mrs Porters Kleider werden im Laufe der Woche geliefert. Änderungen gehen natürlich wie immer auf Kosten des Hauses.“
„Danke.“ Zufrieden lächelnd ging Justine aus dem Laden. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen und sich eilig nach rechts gewandt, prallte sie auch schon gegen eine breite Männerbrust.
„Oh!“, rief sie und klammerte sich an des Mannes dunklem Rock fest, um nicht zu stürzen.
Der Mann packte sie seinerseits bei der korsettierten Taille und riss sie auf skandalöse Weise an sich, hielt sie mit großen starken Händen. Erschrocken sah sie ihn an und blickte in ein schönes, doch gezeichnetes Gesicht, das von der Hutkrempe überschattet wurde.
Ihr stockte der Atem, als Radcliffs dunkler, unergründlicher Blick sie traf.
„Justine“, sagte er mit rauer Stimme.
Sie erstarrte, denn in seinem Ton lag so viel mehr, als sie ihm augenblicklich zu geben bereit war. Nicht, ohne dass er sich zuvor entschuldigte. Sie merkte, dass sie sich noch immer schamlos am Revers seines Rocks festhielt.
Hastig ließ Justine die behandschuhten Hände sinken und wich zurück in Richtung
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