Der Dunkle Code
Landschaftsbestandteile.
Obwohl dieser Tag und diese Nacht zu den anstrengendsten in Aaros Leben zählten, fand er in den drei Stunden, die ihnen bis zum Tagesanbruch noch blieben, keinen richtigen Schlaf. Zusätzliche Sorgen bereitete ihm der bevorstehende Anruf bei seinem Vater, den er unbedingt erreichen musste, bevor dieser am Morgen seine E-Mails las.
Schon vor sieben fuhr Aaro aus dem Halbschlaf hoch und wählte auf der Stelle die Nummer seines Vaters. Timo Nortamo meldete sich verschlafen in Brüssel: »Seit wann bist du morgens so früh munter?«
»Seit heute. Ich wollte dir nur sagen: Falls du komische Mails in deinem Briefkasten finden solltest, dann lösch sie einfach. Bei mir ist alles in Ordnung.«
Timo Nortamos Stimme wurde sofort schärfer: »War denn irgendwas nicht in Ordnung?«
»Doch, absolut. Es hat nur mal kurz so ausgesehen, als würde das Geld nicht reichen, aber es hat dann doch gereicht. Wir haben ein bisschen über unsere Verhältnisse gelebt und dann beschlossen, die restliche Zeit nur Knäckebrot zu essen.«
»Knäckebrot? In Bayern? Ihr habt doch wohl keine Bekanntschaft mit dem flüssigen bayerischen Brot geschlossen?«
»Nein, die hiesigen Biertrinkerkreise haben keinen besonders interessanten Eindruck auf uns gemacht. Wir sehen uns heute Abend. Die Maschine landet um 21.05 Uhr.«
Aaro beendete das Gespräch und im selben Moment klingelte sein Handy. Es war Essi, die bei aller Verschlafenheit äußerst besorgt klang. »Was hat diese Nachricht von Niko zu bedeuten? Ich habe gerade erst die Mailbox abgehört. Was ist da los? Was habt ihr angestellt?«
Außer echter Sorge klang das schlechte Gewissen in Essis Stimme durch, denn sie hatte sich nicht gerade intensiv um ihre Schützlinge gekümmert. Aaro hörte im Hintergrund, wie Paolo im Bad einen italienischen Schlager sang.
Noch einmal präsentierte Aaro die Geschichte mit dem knapp werdenden Geld. Damit konnte er Essi einigermaßen beruhigen. Sie bat ihn aber, drei Stunden vor dem Abflug am Flughafen zu sein, damit sie noch zusammen essen konnten, und Aaro blieb nichts anderes übrig, als zuzustimmen. Er musste Essi schließlich eine Chance geben, wenigstens kurz das Kindermädchen zu spielen.
Sie brachten ihren Mietwagen zurück und stiegen in den Bus nach München. Aaro umklammerte den schweren Rucksack auf seinem Schoß und auch Niko behielt ihn fest im Auge. Irgendwann jedoch kippte Nikos Kopf zur Seite, weil er eingeschlafen war. Hin und wieder murmelte er etwas im Schlaf vor sich hin. Aaro meinte, die Worte »BMW« und »Audi« herauszuhören.
Kurz vorm Flughafen musste der Busfahrer an einer Ampel scharf bremsen und Niko schlug mit dem Kopf gegen den Vordersitz. Er wachte auf und rieb sich die Nase. Aaro überfiel ihn sofort mit dem Thema, das ihn während der gesamten Fahrt beschäftigt hatte. »Ich bin mir noch immer nicht hundertprozentig sicher, ob es richtig gewesen ist, das … das Metallstück anzunehmen«, flüsterte er und tätschelte dabei seinen Rucksack. Er hatte den Goldbarren in seine schmutzige Wäsche gewickelt.
Niko sah ihn an, als hätte er ein Stück Draht verschluckt. »Was laberst du da? Wir haben eine Abmachung mit Herrn Gruber und ein Mann muss sein Wort halten, Aaro. Das Gold gehört niemandem, denn die nazi-deutsche Reichsbank gibt es nicht mehr. Und das heutige Deutschland ist ja wohl nicht der Erbe der Nazis. Wenn wir es mal bereuen sollten, können wir den Barren ja trotzdem der Deutschen Bundesbank schicken. Oder meinetwegen den anderen, den wir im Wald versteckt haben.«
Aaro schwieg. Er war der gleichen Meinung. Außerdem war die Zusammenarbeit mit Gruber der einzige Weg, das eigene Leben zu retten. Der Deutsche hatte sein Wort gehalten und nun wollte Aaro das ebenfalls tun.
Am Flughafen trafen sie Essi und Paolo. Nach der langen Abschiedszeremonie des jungen Paars lud Essi sie zu Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln ein, vermutlich um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Aaro behielt beim Essen den Rucksack zwischen den Beinen, nicht einen Moment lang ließ er ihn los.
Normalerweise fühlte er sich nach einer großen Fleischportion schläfrig, aber diesmal hätte er gar nicht munterer sein können, als er mit Essi und Niko zum Check-in-Schalter ging. Niko schien ständig nach allen Seiten Ausschau zu halten und dabei kräftig zu schwitzen.
Aaro hielt seinen Rucksack in der Hand, als Essi der Frau am Schalter die Tickets und Pässe gab.
»Geben Sie Gepäck auf?«
»Nein, wir haben
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