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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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Zumindest in diesem Punkt hatte mein Vater recht gehabt. Es war nicht ihre Schuld, und ich liebte sie nicht weniger. Sie wirkte erschöpft, aber die Wahrheit lastete auf ihr nicht so schwer wie auf mir. »Ich dachte immer, meine Eltern sind tot«, erklärte sie. »Jetzt habe ich zwei, und einen Bruder noch dazu.«
    »Aber dafür ist Dolf nicht dein Großvater«, sagte ich. »Das hast du verloren.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich könnte ihn nicht noch mehr lieben, als ich es sowieso tue. Für uns ändert sich nichts.«
    »Und was ist mit dir und mir? Ist dir das unheimlich?«
    Sie brauchte eine Weile, um zu antworten. Als sie es tat, spürte ich ihre Ratlosigkeit. »Die Hoffnung stirbt nicht so leicht, Adam. Es tut weh. Ich werde mich daran gewöhnen, weil mir nichts anderes übrig bleibt. Ich bin nur froh, dass du nicht mit mir geschlafen hast.«
    »Ah. Humor.«
    »Der hilft.«
    »Und Sarah Yates?«
    »Ich hab sie gern, aber sie hat mich verlassen.«
    »Vor fast zwanzig Jahren, Grace. Sie hätte überallhin gehen können, doch sie hat sich drei Meilen flussaufwärts niedergelassen. Das war kein Zufall. Sie wollte in deiner Nähe sein.«
    »In der Nähe ist nicht das Gleiche.«
    »Nein, das ist es nicht.«
    »Ich werde wohl einfach sehen, wie es weitergeht.«
    »Und dein Vater?«
    »Ich freue mich darauf, diesen Weg zu gehen.« Sie sah mich so geradlinig an, dass ich wegschauen musste. Sie legte eine Hand auf meine. »Lauf nicht weg, Adam. Geh ihn mit mir.«
    Ich entzog ihr meine Hand, trat ans Fenster und schaute hinaus. Bäume bildeten ein dichtes Laubdach hinter dem Krankenhaus. Grün in tausend Schattierungen. »Ich kehre nach New York zurück«, sagte ich. »Robin geht mit. Wir möchten, dass du auch mitkommst.«
    »Ich hab's dir schon einmal gesagt. Weglaufen ist nicht meine Art.«
    »Das ist kein Weglaufen«, sagte ich.
    »Nicht?«

SECHSUNDDREISSIG
    D er Tag, an dem Miriam beerdigt wurde, war ungewöhnlich kühl. Ich war auf dem Friedhof, und Robin stand an meiner Seite. Mein Vater war mit Janice da; beide sahen aus, als hätten sie nicht geschlafen — verwittert und düster. Dolf stand zwischen ihnen wie ein Fels. Oder wie eine Mauer. Sie blickten einander nicht an, und ich wusste, dass vorwurfsvolle Trauer sie zerfraß. Jamie hielt sich am Rand, eingefallen und mit roten Flecken im Gesicht. Er war betrunken und wütend, und in seinem Blick lag keine Vergebung, als er meinen Vater ansah.
    Ich hörte dem Pfarrer zu, der schon meine Mutter und Danny begraben hatte. Er trug ein schneeweißes Gewand und sagte ganz ähnliche Dinge wie beim letzten Mal, aber sie spendeten mir keinen Trost. Miriam hatte im Leben wenig Frieden gefunden, und ich befürchtete, dass es ihrer Seele genauso ergehen könnte. Sie war als Mörderin gestorben, ohne zu bereuen, und ich konnte nur hoffen, dass sie einen besseren Ort gefunden hatte.
    Ich schaute über ihr Grab hinweg.
    Ich betete um Gnade für ihre verwundete Seele.
    Als der Pfarrer geendet hatte, beugte meine Stiefmutter sich über den Sarg und zitterte wie ein Blatt im Wind. George Tallman starrte ins Leere, Tränen tropften von seinem Kinn und machten dunkle Flecken auf seiner blauen Uniform.
    Ich entfernte mich von der kleinen Trauergemeinde, und mein Vater kam mir nach. Allein standen wir unter einer fernen Sonne. »Sag mir, was ich tun soll«, bat er.
    Ich schaute hinüber zu dem, was von meiner Familie übrig war, und dachte an Miriams prophetische Worte. Die Familie hatte sich selbst zerrissen.
    Da sind überall Risse.
    »Du hast die Polizei nicht angerufen.« Ich sprach von der Ansichtskarte.
    »Ich habe sie verbrannt.« Er schaute zu Boden und wiederholte: »Ich habe sie verbrannt.«
    Dann fing auch er an zu zittern.
    Und ich ging davon.

SIEBENUNDDREISSIG
    I m Laufe des nächsten Jahres fand ich etwas heraus: New York mit einem geliebten Menschen ist besser als dieselbe Stadt, wenn man allein ist. Zehnmal besser. Tausendmal. Aber es war nicht mein Zuhause. Das war eine Tatsache, schlicht und einfach. Ich versuchte, damit zu leben, aber es war schwer. Wenn ich die Augen schloss, dachte ich an weites Land.
    Wir hatten keine Ahnung, was wir mit dem Rest unserer Tage anfangen sollten; wir wussten nur, dass wir sie zusammen verbringen würden. Wir hatten Geld, und wir hatten Zeit. Wir sprachen vom Heiraten. »Eines Tages«, sagte sie.
    »Bald«, entgegnete ich.
    »Kinder?«
    Ich dachte an meinen Vater, und sie sah den Schmerz. »Du solltest ihn zurückrufen«, sagte

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