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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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dröhnenden Lärm, ihr Haar, das hinter ihr herflatterte. So hatte sie ausgesehen, als sie das erste Mal auf dem Pferd meines Vaters geritten war.
    Furchtlos.
    »Du kennst sie nicht«, sagte ich.
    »Hundertzwanzig Meilen pro Stunde, Adam. Um zwei Uhr morgens. Die Streife hat sie erst nach fünf Meilen eingeholt.« Ich dachte an Grace, wie sie jetzt war, verletzt in einem Antisemitischen Zimmer hinter mir. Ich rieb mir die Augen. »Was soll ich jetzt empfinden, Robin? Du hast so etwas schon öfter gesehen.«
    »Wut. Leere. Ich weiß es nicht.«
    »Wie kann es sein, dass du das nicht weißt?«
    Sie zuckte die Achseln. »Es ging noch nie um jemanden, den ich liebe.«
    »Und Grace?«
    Ihr Blick war undurchdringlich. »Ich kenne Grace seit einer Weile nicht mehr, Adam.«
    Ich schwieg und dachte an das, was Grace auf dem Steg gesagt hatte.
    Wem hab ich denn sonst etwas bedeutet?
    »Alles okay?«, fragte Robin.
    Nichts war okay, nicht mal annähernd. »Wenn ich den Kerl finden könnte, der das getan hat, würde ich ihn umbringen.« Ich ließ sie meine Augen sehen. »Totschlagen würde ich das Dreckschwein.«
    Grantham hatte sein Telefonat beendet und kam zu uns an den Krankenhauseingang. Zusammen gingen wir wieder hinein. Dolf und mein Vater sprachen gerade mit dem behandelnden Arzt. Grantham unterbrach sie.
    »Können wir jetzt zu ihr?«
    Der Arzt war ein junger, ernsthaft aussehender Mann mit schwarz umrandeter Brille und einer schmalen Nase. Er wirkte klein und vorzeitig gebeugt, und er drückte ein Klemmbrett an die Brust, als könne es ihn vor den Verletzungen schützen, die ihn umgaben. Seine Stimme klang überraschend fest.
    »Körperlich ist sie ganz in Ordnung. Aber ich glaube nicht, dass sie reagieren wird. Sie hat eigentlich nicht mehr gesprochen, seit sie hier ist, von der ersten Stunde abgesehen. Da hat sie nach jemandem namens Adam gefragt.«
    Alle drehten sich gleichzeitig zu mir um: mein Vater, Dolf, Robin und Detective Grantham. Schließlich sah auch der Arzt mich an. »Sind Sie Adam?«, fragte er. Ich nickte, und mein Vater öffnete stumm den Mund. Der Arzt war unsicher. »Vielleicht, wenn Sie mit ihr sprechen ...«
    »Wir müssen vorher zu ihr«, sagte Grantham.
    »Gut«, sagte der Arzt. »Aber ich muss dabei sein.«
    »Kein Problem.«
    Der Arzt führte uns durch einen schmalen Flur. Fahrbare Krankentragen standen leer an der Wand. Wir bogen um eine Ecke, und er blieb vor einer hellen Holztür mit einem kleinen Fenster stehen. Dahinter erkannte ich Grace unter einer dünnen Decke.
    »Die anderen warten bitte hier«, sagte der Arzt und hielt den beiden Polizisten die Tür auf.
    Kühle Luft strich über mein Gesicht, und dann waren sie drinnen. Dolf und mein Vater spähten durch das schmale Fenster, und ich ging in kleinen Kreisen auf und ab und dachte an das Letzte, was Grace zu mir gesagt hatte. Nach fünf Minuten öffnete sich die Tür. Der Arzt schaute zu mir heraus.
    »Sie fragt nach Ihnen«, sagte er.
    Ich ging auf die Tür zu, aber Grantham legte mir die Hand auf die Brust und hielt mich auf. »Sie wollte nicht mit uns sprechen. Wir haben erlaubt, Sie hereinzulassen, weil der Arzt meinte, es wird ihr helfen, zu sich zu kommen.« Ich hielt seinem Blick stand. »Geben Sie mir keinen Grund, es zu bereuen.«
    Ich lehnte mich gegen seine Hand, bis er sie wegnehmen musste. Als ich an ihm vorbei ins Zimmer trat, spürte ich noch immer seine Finger auf meiner Brust, und wie er im letzten Moment noch einmal kräftig zugedrückt hatte. Die Tür bewegte sich lautlos in den Angeln, und die beiden alten Männer drängten sich draußen an die Scheibe. Dann stand ich vor ihr und spürte, wie mein Groll welkte und erstarb. Das alles war nicht wichtig.
    Die Krankenhausbeleuchtung nahm alle Farbe aus ihrem Gesicht. Ihre Brust hob und senkte sich, dazwischen waren Pausen, die dort nach meinem Gefühl nicht hingehörten. Blonde Strähnen lagen auf ihrer Wange, und in der Ohrmuschel sah ich getrocknetes Blut. Ich schaute zu Robin, aber deren Gesicht war verschlossen.
    Ich ging um das Bett herum. Schwarze Fäden durchbohrten Grace' Lippen. Sie hatte große Blutergüsse, und ihre Augen waren so geschwollen, dass sie fast geschlossen waren; nur ein schmaler Streifen Blau schimmerte zwischen den Lidern hindurch, viel zu blass. Eine Kanüle war mit Pflaster auf ihrem Handrücken fixiert, und ihre Hand fühlte sich spröde an, als ich sie ergriff. Ich versuchte, irgendeine Andeutung in ihren Augen zu entdecken; als ich ihren

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