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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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mein Vater.
    »Nicht?«
    Er ließ den Kopf hängen.
    »Er hat mich um Hilfe gebeten, und ich habe ihn abgewiesen.«
    »Rede nicht so, Junge.«
    »Ich habe ihn abgewiesen, und er ist gestorben.«
    »Die Dinge liegen nicht immer so einfach«, sagte mein Vater, aber ich ließ mich nicht beirren.
    »Wenn ich getan hätte, was er wollte, wenn ich hergekommen wäre, um ihm zu helfen, dann wäre er vielleicht nicht ermordet worden. Ich bin ihm etwas schuldig.« Ich schwieg kurz. »Und ich bin Dolf etwas schuldig.«
    »Was hast du jetzt vor?«
    Ich schaute hinaus in den Regen und streckte die Hand aus, als könnte ich die Wahrheit aus der Dunkelheit hervorziehen.
    »Ich werde ein paar gottverdammte Steine umdrehen.«

EINUNDZWANZIG
    W ährend wir zur Farm zurückfuhren, lauschte ich dem harten Klatschen der Scheibenwischer an dem alten Truck. Mein Vater stellte den Motor ab, und wir blieben in der Einfahrt sitzen. Die Regentropfen zerstoben zu Dunst auf dem Dach. »Bist du da ganz sicher, Junge?«
    Ich antwortete nicht; ich dachte an Danny. Ich hatte nicht nur seine Bitte zurückgewiesen, ich hatte auch an ihm gezweifelt. Das lag an dem Ring, den sie bei Grace gefunden hatten. Der hatte mir alles so klar erscheinen lassen: Danny hatte sich verändert, war des Geldes wegen zur dunklen Seite übergelaufen. Sein Vater wollte, dass meiner verkaufte, und Danny hatte mitgespielt. Verdammt! Ich hatte es so bereitwillig geglaubt. Ich hatte vergessen, wie oft er zu mir gestanden hatte. Ich hatte gewusst, was für ein Mensch er war, aber ich hatte es vergessen. In jeder wichtigen Hinsicht war dies das größte Unrecht, das ich ihm angetan hatte. Aber er war tot. Ich musste an die Lebenden denken.
    »Grace wird es umbringen«, sagte ich.
    »Sie ist stark.«
    »Niemand ist so stark. Du solltest im Krankenhaus anrufen. Morgen wird es in der Zeitung stehen. Vielleicht können sie es von ihr fernhalten, wenigstens für einen oder zwei Tage. Sie sollte es von uns erfahren.«
    Er war unsicher. »Vielleicht, wenn es ihr besser geht.« Er nickte. »Ein, zwei Tage.«
    »Ich muss gehen«, sagte ich, aber mein Vater legte mir die Hand auf den Arm. Meine Tür war schon offen, und der Regen rauschte in die Kabine. Doch das kümmerte ihn nicht.
    »Dolf ist mein bester Freund, Adam. Er ist es schon länger, als du auf der Welt bist, er war es, bevor ich deine Mutter kennenlernte, schon als wir Kinder waren. Du darfst nicht glauben, dass es leicht für mich ist.«
    »Dann solltest du es genauso sehen wie ich. Wir müssen ihn da rausholen.«
    »In einer Freundschaft geht es auch um Vertrauen.«
    Ich ließ einen langen Augenblick verstreichen. »In einer Familie ebenfalls«, sagte ich schließlich. »Adam ...« Ich stieg aus und beugte mich noch einmal in den Wagen. Der Regen trommelte auf meinen Rücken. »Glaubst du, ich habe Gray Wilson ermordet? Sag es mir hier und jetzt... glaubst du, ich habe es getan?«
    Er beugte sich vor, und die Innenbeleuchtung schien ihm ins Gesicht. »Nein, mein Junge. Ich glaube nicht, dass du es getan hast.«
    Etwas zerriss in meiner Brust; ein Band löste sich. »Dass du das sagst, bedeutet noch nicht, dass ich dir verzeihe. Wir beide haben noch einen weiten Weg vor uns, du und ich.«
    »Ja, das stimmt.«
    Ich hatte nicht vorgehabt, das zu sagen, was als Nächstes kam. Es platzte einfach aus mir heraus. »Ich wollte wieder nach Hause«, sagte ich. »Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich zurückgekommen bin.«
    Er riss die Augen auf, aber ich war nicht bereit, noch weiter darüber zu reden. Ich schlug die Tür zu, planschte durch die Pfützen und schob mich in meinen Wagen. Mein Vater stieg auf seine Veranda und drehte sich um. Seine Kleider hingen nass am Körper herunter, und Wasser lief ihm über das Gesicht. Er hob die Hand über seine Augen und ließ sie dort, bis ich wegfuhr.
    Ich fuhr zu Dolfs Haus. Es war leer und dunkel. Ich zog die nassen Sachen aus und warf mich auf Dolfs Couch. In meinem Kopf brodelte es: Spekulationen, Theorien, Verzweiflung. Fünfzehn Meilen von hier würde Dolf jetzt auf einer harten, schmalen Pritsche liegen. Wahrscheinlich war er wach. Wahrscheinlich hatte er Angst. Der Krebs würde in ihm nagen und nach dem letzten lebendigen Stück suchen. Wie lange noch, bis er ihn erledigte? Zwei Monate? Einer? Ich hatte keine Ahnung. Aber als meine Mutter gestorben und mein Vater für mich jahrelang in der Trauer verloren gewesen war, da war es Dolf Shepherd gewesen, auf den es angekommen war.

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