Der dunkle Fluss
Gange; es regnete so stark, dass kalter Nebeldunst zu uns heraufwehte.
»Wir alle haben irgendeine Schuld zu tragen«, sagte ich. Mein Vater sah mich an. »Aber es ist völlig ausgeschlossen, dass Dolf Danny ermordet hat.«
Mein Vater spähte forschend in den Regen hinaus, als sei darin eine Botschaft enthalten. »Parks ist weg«, sagte er schließlich und drehte sich zu mir um. »Willst du mir nicht auch den Rest erzählen?«
»Mehr gibt es nicht zu erzählen.«
Er strich sich mit beiden Händen über das Haar und wischte das Regenwasser von der Stirn nach hinten. »Es gab doch einen Grund, weshalb er mit dir sprechen wollte. Bis jetzt hast du nicht gesagt, was für ein Grund das war. Solange Parks hier war, konnte ich das verstehen. Aber jetzt ist er weg. Also sag's mir.«
Teils wollte ich es weiter für mich behalten, aber andererseits dachte ich mir, dass mein Vater vielleicht ein bisschen Licht ins Dunkel bringen könnte. »Er hat gesagt, ich soll loslassen.«
»Was meint er damit?«
»Ich soll nicht graben. Er hat Angst, ich könnte versuchen herauszufinden, was wirklich passiert ist. Aus irgendeinem Grund will er das nicht.«
Mein Vater wandte sich ab und ging drei Schritte bis zum Rand des Vordachs. Einen Schritt weiter, und der Regen würde ihn verschlucken. Ich spreizte die Schultern und wartete darauf, dass er sich umdrehte und mich ansah. Ich wollte sehen, wie er reagierte. Donner zerriss die Luft, und ich musste lauter sprechen. »Ich habe sein Gesicht gesehen, als wir Dannys Leiche fanden. Er hat es nicht getan.« Der Donner verhallte. »Er will jemanden schützen«, sagte ich.
Nichts anderes ergab irgendeinen Sinn.
Mein Vater sprach über die Schulter zu mir zurück, und seine Worte trafen mich wie Steine. »Er stirbt, Junge.« Erst jetzt ließ er mich sein Gesicht sehen. »Er ist zerfressen vom Krebs.«
Ich konnte kaum verarbeiten, was er da sagte. Ich dachte an das, was Dolf mir von seinem Kampf gegen den Prostatakrebs erzählt hatte. »Das ist Jahre her«, sagte ich.
»Das war nur der Anfang. Jetzt ist es überall in ihm. Lunge, Knochen, Milz. Er wird's keine sechs Monate mehr durchhalten.« Der Schmerz war beinahe körperlich. »Dann sollte er in Behandlung sein.«
»Wozu? Um noch einen Monat herauszuschinden? Es ist unheilbar, Adam. Von jedem Arzt hört er das Gleiche. Als ich ihm sagte, er soll kämpfen, antwortete er, es habe keinen Sinn, deswegen großen Stunk zu machen. In Würde sterben, wie es Gottes Wille ist. Das will er.«
»O mein Gott. Weiß Grace das?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
Ich kämpfte meine Gefühle gewaltsam nieder, brauchte einen klaren Kopf, aber es fiel mir schwer. Dann ging mir ein Licht auf. »Du hast es gewusst«, sagte ich. »Als ich dir erzählt habe, dass er ein Geständnis ablegt, wusstest du, warum er es tut.«
»Nein, Junge. Ich wusste nur, was du wusstest: dass Dolf Shepherd niemals jemanden umbringen könnte. Ich habe keine Ahnung, wen er da schützt, aber eins weiß ich: Es muss jemand sein, den er liebt.« Er zögerte.
»Also?«, drängte ich.
Er kam zu mir zurück. »Also solltest du vielleicht tun, was er will. Vielleicht solltest du es auf sich beruhen lassen.«
»Ein Tod im Knast hat nichts mit Würde zu tun«, sagte ich. »Vielleicht doch. Kommt darauf an, warum er es tut.«
»Ich kann ihn dort nicht lassen.«
»Es kommt dir nicht zu, einem Mann vorzuschreiben, wie er seine letzten Tage verbringen soll —«
»Ich lasse ihn nicht in diesem Loch sterben!«
Er sah gequält aus.
»Es geht nicht nur um Dolf«, sagte ich. »Da ist noch etwas.«
»Was?«
»Danny hat mich angerufen.«
Mein Vater stand schemenhaft in der Düsternis. Seine Hände ragten dunkel aus den langen, hellen Ärmeln. »Ich verstehe nicht«, sagte er. »Danny hat mich in New York aufgespürt. Er hat mich vor drei Wochen angerufen.«
»Er ist vor drei Wochen gestorben.«
»Es war merkwürdig, okay. Der Anruf kam aus heiterem Himmel, mitten in der Nacht. Danny war hektisch, aufgeregt wegen irgendetwas. Er sagte, er habe herausgefunden, wie er sein Leben in Ordnung bringen kann. Eine große Sache, sagte er, aber er brauche meine Hilfe. Er wollte, dass ich komme. Wir haben uns gestritten.«
»Deine Hilfe wobei?«
»Das wollte er nicht sagen. Darüber wollte er von Angesicht zu Angesicht mit mir reden.«
»Aber —«
»Ich habe gesagt, ich würde nie mehr nach Hause kommen. Dieser Ort sei für mich verloren.«
»Das ist nicht wahr«, sagte
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