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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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auf.
    Meine Haut kribbelte, als ich den Raum betrat, und begann zu brennen, als die Tür mit metallischem Schlag ins Schloss fiel. Drei Tage hatten sie mich in der Mangel gehabt, hier in diesem Raum, und ich sah alles vor mir, als wäre es gestern gewesen.
    Ich setzte mich Dolf gegenüber auf den Stuhl, auf der Polizistenseite des Tisches. Der Stuhl scharrte laut über den Betonboden. Dolf saß bewegungslos da; obwohl der Overall schlabbrig an seinem Körper hing, sahen seine Handgelenke immer noch klobig aus, und seine Hände waren groß und zupackend. Das Licht war heller hier, weil die Cops keine Geheimnisse zulassen wollten, aber die Farben wirkten trotzdem verfälscht. Dolfs Haut schimmerte gelb wie der Linoleumboden draußen. Er hielt den Kopf gesenkt, und ich sah nur den Buckel seiner Nase und die weißen Augenbrauen. Auf dem Tisch lagen Zigaretten neben einem Aschenbecher aus dicker Alufolie.
    Ich sprach ihn an, und endlich schaute er auf. Ich weiß nicht, warum: Ich hatte so etwas wie Distanz erwartet, eine Schranke zwischen uns. Aber die war nicht da. Sein Blick war warmherzig und rief, und sein verschmitztes Lächeln überraschte mich.
    »'ne verdammte Sache, was?« Seine Hände bewegten sich. Er warf einen Blick in den Spiegel und drehte den Kopf hin und her. Seine Finger tasteten nach der Zigarettenschachtel; er schüttelte eine heraus, zündete sie mit einem Streichholz an und deutete mit einer Hand im Raum umher. »War es für dich auch so?«
    »So ziemlich.«
    Er nickte und zeigte auf den Spiegel. »Was glaubst du, wie viele dahinter stehen?«
    »Ist das wichtig?«
    Jetzt lächelte er nicht. »Wohl nicht. Ist dein Dad da draußen?«
    »Ja.«
    »Ist er aufgeregt?«
    »Parks ist aufgeregt. Dad ist bekümmert. Du bist sein bester Freund. Er hat Angst um dich.« Ich wartete auf irgendeinen Hinweis darauf, weshalb er mich sprechen wollte. »Ich verstehe nicht, warum ich hier bin, Dolf. Du solltest mit Parks sprechen. Er ist einer der besten Anwälte im Staat, und er sitzt da draußen.«
    Dolf wedelte unbestimmt mit der Zigarette und brachte die blasse Rauchfahne zum Tanzen. »Anwälte«, sagte er nur.
    »Du brauchst ihn.«
    Dolf wischte den Gedanken beiseite und lehnte sich zurück. »Ist schon komisch«, sagte er. »Was ist komisch?«
    »Das Leben.«
    »Was heißt das?« Er ignorierte die Frage und drückte die Zigarette in dem billigen Folienaschenbecher aus. Er beugte sich wieder vor, mit leuchtenden Augen. »Möchtest du wissen, was das Eindrucksvollste ist, das ich je gesehen habe?«
    »Geht's dir gut, Dolf? Du wirkst irgendwie ... ich weiß nicht... zerstreut.«
    »Mir geht's gut«, sagte er. »Das Eindrucksvollste. Möchtest du es wissen?«
    »Ja.«
    »Du hast es auch gesehen, aber ich glaube nicht, dass du es damals vollständig begriffen hast.«
    »Was denn?«
    »Als dein Vater wegen Grace in den Fluss gesprungen ist.« Ich weiß nicht, was für ein Gesicht ich machte. Verständnislos. Überrascht. Es war nicht das, was ich erwartet hatte. Der alte Mann nickte.
    »Aber das hätte jeder andere auch getan«, sagte ich.
    »Nein.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Von diesem Tag abgesehen — hast du deinen Vater jemals im Fluss gesehen, oder in einem Swimmingpool? Oder im Meer?«
    »Wovon redest du, Dolf?«
    »Dein Vater kann nicht schwimmen, Adam. Ich nehme an, das hast du nicht gewusst.«
    Ich war geschockt. »Nein. Das hab ich nicht gewusst.«
    »Er hat Angst vor dem Wasser. Panische Angst. Schon als wir noch klein waren. Aber er ist ohne Zögern hineingesprungen, kopfüber in einen Fluss voller Treibgut, der so stark angeschwollen war, dass er fast über die Ufer trat. Es ist ein Wunder, dass sie nicht beide ertrunken sind.« Er schwieg kurz und nickte wieder. »Das Eindrucksvollste, was ich jemals gesehen habe. Klar und entschieden. Selbstlos.«
    »Warum erzählst du mir das?«
    Er packte mich beim Arm. »Weil du wie dein Vater bist, Adam, und weil du etwas für mich tun musst.«
    »Was?« Seine Augen glühten. »Du musst loslassen.«
    »Was loslassen ?«
    »Mich. Das hier. Alles.« Seine Stimme bekam neue Kraft, die Kraft der Überzeugung. »Versuch nicht, mich zu retten. Fang nicht an zu graben. Verbeiß dich nicht darin.« Er ließ meinen Arm los, und ich kippte zurück. »Lass es einfach laufen.«
    Dolf stand auf und war mit zwei schnellen Schritten an dem verspiegelten Fenster. Mit immer noch leuchtenden Augen schaute er sich um, und seine Stimme klang brüchig. »Und kümmere dich um

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