Der dunkle Fluss
Ich spürte noch jetzt die Kraft dieser schweren Hand auf meiner Schulter. Lange Jahre. Harte Jahre. Und es war Dolf Shepherd gewesen, der mir geholfen hatte, sie zu überstehen.
Wenn er jetzt sterben sollte, dann mit der Sonne im Gesicht.
Die Postkarte in meinem Handschuhfach fiel mir ein. Wenn ich recht hatte und Dolf nicht Dannys Mörder war, dann konnte diese Karte ihn vielleicht befreien. Aber wen könnte sie belasten? Jemanden, dem etwas an Dannys Tod gelegen sein konnte. Jemanden, der stark genug war, um die Leiche in die Spalte oben auf dem Buckel zu werfen. Vielleicht war es an der Zeit, Robin die Karte zu geben. Aber in einem hatte Dad recht: Dolf musste seine Gründe haben, und wir hatten keine Ahnung, welche es waren. Ich schloss die Augen und versuchte, nicht an das zu denken, was Parks gesagt hatte: Es sei denn, er wollte, dass die Leiche gefunden wird. Und dann wieder Dolf: Meistens bezahlt der Sünder für seine Sünden. Dunkle Gedanken zogen auf wie Donnergrollen. Wenn Dolf Danny umgebracht hatte, musste er einen verdammt guten Grund gehabt haben. Aber konnte er es getan haben? War es wirklich möglich? Ich war lange weg gewesen. Was hatte sich in fünf Jahren geändert? Wer?
Ich wälzte diese Fragen, bis ich einschlief, und ausnahmsweise träumte ich nicht von meiner Mutter oder von Blut. Stattdessen träumte ich von Zähnen, von dem Krebs, der einen guten Mann zerfraß.
Vor sechs wachte ich auf und fühlte mich, als hätte ich überhaupt nicht geschlafen. Kaffee stand im Schrank, also brühte ich welchen auf und trat hinaus in das wässrige, graue Licht. Noch eine halbe Stunde bis Sonnenaufgang; alles war still und reglos. Die Blätter hingen unter der Last dunkler Perlen herab, und das Gras war vom Regen platt gedrückt. In der Einfahrt glänzten Pfützen, schwarz und glatt wie Öl.
Es war ein makelloser, ruhiger Morgen — und dann hörte ich es, das vielstimmige Gekläff jagender Hunde. Das Heulen der Meute. Es war ein urzeitliches Geräusch, bei dem ich Gänsehaut bekam.
Es stieg über die Hügel herauf und schwand wieder. Schwoll an und verklang, als sprächen Verrückte in Zungen. Dann fielen kurz hintereinander mehrere Schüsse, und ich wusste, dass auch mein Vater keine Ruhe fand.
Ich lauschte noch eine Weile, aber das Hundegeheul verhallte, und ich hörte keinen Schuss mehr. Also ging ich ins Haus.
Auf dem Weg zur Dusche blieb ich in Grace' Tür stehen. Nichts hatte sich verändert, und ich zog die Tür ins Schloss. In der Dusche am Ende des Korridors drehte ich das Wasser auf, wusch mich mit schnellen, sparsamen Bewegungen und frottierte mich ab. Der Dampf folgte mir zurück ins Wohnzimmer, und dort, wo ich geschlafen hatte, saß Robin. Ihre Hand lag gespreizt auf dem Kissen. Sie stand auf. Klein und blass sah sie aus, wie meine Geliebte und weniger wie eine Polizistin. »Anscheinend bist du immer unter der Dusche, wenn ich komme«, sagte sie.
»Beim nächsten Mal kannst du ja dazukommen.« Ich lächelte, aber der Tag war zu finster für Frivolitäten. Ich breitete die Arme aus, und sie drückte ihr kühles Gesicht an meine Brust. »Wir müssen reden«, sagte sie.
»Warte, bis ich mich angezogen habe«, sagte ich.
Sie hatte den Kaffee eingegossen, als ich zurückkam. Wir setzten uns an den Küchentisch; der Nebel kroch aus dem Wald herauf, die Sonne schob ihre dünnen Finger zwischen den Bäumen heraus. »Ich habe gehört, dass Dolf gestanden hat«, sagte sie.
»Das ist Schwachsinn«, sagte ich mit mehr Nachdruck, als ich beabsichtigte.
»Wieso bist du da sicher?«
»Weil ich den Mann kenne.«
»Das genügt nicht, Adam —«
Mir platzte der Kragen. »Ich habe ihn mein ganzes Leben lang gekannt! Er hat mich praktisch großgezogen!«
Robin blieb ruhig. »Du hast mich nicht ausreden lassen. Das genügt nicht, wenn wir ihm helfen wollen. Wir brauchen irgendeinen Riss in der Story, irgendetwas, wo wir den Hebel ansetzen können.«
Ich schaute ihr ins Gesicht und sah nur Offenheit. »Entschuldige«, sagte ich.
»Lass uns besprechen, was wir tun können.«
Sie wollte helfen, aber ich war im Besitz von Beweismaterial eine Straftat, vielleicht die erste von vielen. »Nicht wir, Robin. Nur ich.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich werde alles tun, was nötig ist, um Dolf da rauszuholen. Verstehst du, was ich sage? Alles. Wenn du mir hilfst, wird deine berufliche Karriere das vielleicht nicht überleben. Ich werde tun, was ich tun muss.« Ich machte eine Pause, damit sie
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