Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
Gänsehaut. Wenn wir beide allein in der Wohnung waren, ging ich ihm aus dem Weg, aber manchmal schaffte er es, mir in unserem düsteren Flur aufzulauern. Krank auf eine Art, die ich nicht heilen konnte, bedrängte er mich dann mit seinem riesenhaften Körper und lachte, wenn ich vor ihm zurückwich.
Das Komische war, dass Dean genau wie die Erwachsenenversion eines charmanten, harmlosen Jungen aussah, in den sich alle Mädchen auf der Highschool verknallten. Er hatte leicht gelocktes, blondes Haar und ein freundliches, offenes Gesicht, das jeden, der ihn nicht kannte, sofort für ihn einnahm. Möglicherweise hatte sich Anna ja deshalb gleich zu ihm hingezogen gefühlt.
»Vielleicht ruf ich beim nächsten Mal vorher an«, überlegte ich laut. »Dann kannst du schauen, dass du Mom bis fünf nach neun verprügelt hast, ich kann um zehn nach neun den Notarzt rufen und um Mitternacht können wir dann alle ins Bett gehen.«
Ich sagte das ganz ohne Sarkasmus, nur mit bitterer Resignation. Dean ballte die Hände zu Fäusten, die sich wie Stahl anfühlen konnten. Ich hatte meine Mutter beschützen wollen und war zu lange geblieben, aber Anna liebte Dean über alles. Mehr als mich. Und Dean liebte die Schecks mit den Unterhaltszahlungen meines Vaters, die es ihm ermöglichten, sich eine Flasche Tequila nach der anderen reinzuziehen.
Er kam auf mich zu. »Willst du mich aufhalten, Prinzessin?«
Auf mein gleichgültiges Verhalten fiel er nie herein. Nachdem ich meine Mutter bewusstlos am Boden liegen sah, hätte ich ihn am liebsten umgebracht. Ich fürchtete mich vor dem bevorstehenden Gewaltausbruch und dem Moment, wenn ich Anna berühren würde. Ohne den Blick von ihm zu lösen, bewegte ich mich seitwärts, um das abgenutzte Sofa und den verschrammten Couchtisch zwischen uns zu bekommen. Anna stöhnte auf und Dean warf ihr einen verächtlichen Blick zu.
»Hältst du dich für einen echten Kerl, weil du Frauen zusammenschlägst?«, spottete ich, um ihn abzulenken.
Bei seinem Lächeln lief mir ein Schauer über den Rücken. Es war ein warnendes Lächeln – ein Lächeln, nach dem sich das Wetter vorhersagen ließ, denn auf seinen Empfänger ging garantiert die Hölle nieder. »Du hältst dich für was Besseres, meine Kleine, aber du wirst mich gefälligst respektieren!« Er riss den Gürtel aus den Schlaufen seiner schmutzigen Jeans. Als er sich das schwarze Leder um die Fäuste wickelte, glitzerte die Schnalle im Licht – eine blanke, glänzende Waffe.
Hass ergriff mich und lähmende Angst. Ich mache ihn besser wütend, entschied ich. Dann war das Ganze vielleicht schneller vorüber. Während ich mich auf Anna zubewegte, grinste ich voller Hohn.
»Dich respektieren? Du bist doch nichts weiter als ein mieser Feigling! Du willst mich schlagen, oder, Dean? Nur zu!«
Ich hatte mich noch nie über ihn lustig gemacht, und nur noch einen knappen Meter von Anna entfernt, bekam ich kalte Füße. Blöd. Zu blöd. Er wird uns beide umbringen. Aber zumindest hätte das makabre Wartespiel dann ein Ende. Inzwischen war er mir so nahe, dass er mich berühren konnte. »Wag es ja nicht«, zischte ich.
Er holte aus, und ich stellte mich vor meine Mutter. Er versetzte mir einen Schlag in die Magengrube und ich stolperte über sie. Mit einem dumpfen Geräusch krachte ich mit dem Kopf gegen die Wand. Dean packte mich am Hals und hielt mich so auf den Füßen. Ich atmete die schale Mischung aus Schweiß- und Tabakgeruch ein. Er schnitt mir die Luft ab, drückte lächelnd immer weiter zu, bis mir vor Schmerz die Knie nachgaben.
Anna bewegte sich plötzlich und kreischte: »Nein!« Dann sprang sie auf und grub Dean die roten Fingernägel in den Unterarm. In meinem verzweifelten Kampf um Luft packte ich mit einer Hand Deans Arm und umklammerte mit der anderen meine Mutter.
Ich kniff die Augen zusammen. Ich sterbe, dachte ich. Meine Kräfte verließen mich. Die mentale Mauer, die meine Fähigkeiten in Schranken hielt, stürzte ein, und ohne ihren Schutz donnerten Annas Schmerzen durch mich hindurch und erlaubten mir Einblicke in ihren Körper. Ich bemerkte zwei gebrochene Rippen, eine Gehirnerschütterung, ein blutendes Auge und Prellungen am ganzen Körper. Wie bei einem großartigen Feuerwerk knallten Farbtupfer an meine geschlossenen Augenlider. Meine Lungen zogen sich zusammen und ich machte mir Annas Verletzungen zu eigen, heilte sie und übertrug ihre Schmerzen auf mich.
Annas Angriff hatte Dean aus dem Gleichgewicht gebracht. Er
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