Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
riss sie an den Haaren, damit sie von ihm abließ, und sein Griff um meinen Hals lockerte sich. Sie schluchzte, und der Sturm in mir verdoppelte und verdreifachte sich. Ich hatte meine Mutter nicht beschützen können. Wutentbrannt stellte ich mir vor, wie Dean von meinen Schmerzen niedergestreckt wurde, wie von einem feurigen Blitzschlag.
Grellrotes Licht sprang knisternd von meiner Hand auf seinen Arm über. Sein Gesicht erstarrte in Entsetzen, dann zuckte er zusammen und wand sich. Ein lautes Krachen zerriss die Luft – entweder brachen seine Rippen oder meine – und ich verlor die Besinnung.
Ich wachte davon auf, dass mir jemand sanft das Haar aus dem Gesicht strich und mir der Duft von Moschus in die Nase stieg. Anna . Angst drang durch die dunstigen Kanten meines Schlafs und ich setzte mich zu hastig auf. Ohne mich um meine schmerzenden Bauchmuskeln zu kümmern, sah ich mich nach Dean um, doch meine Mutter war allein da. Schwaches Sonnenlicht schien durch das einzige Fenster. Die kratzigen Bettlaken und der Geruch nach Desinfektionsmitteln schrien nach Krankenhaus.
Ich war also doch nicht gestorben.
Meine Kehle brannte und ich kämpfte gegen meine Tränen an. Anna beobachtete mich, und ich machte mich an eine Bestandsaufnahme ihrer Verletzungen. Als mich Dean im Würgegriff hatte, war nicht genügend Zeit geblieben, um meine Mutter vollständig zu heilen, und vor den Ärzten hatte sie ihre Verletzungen garantiert verheimlicht. Trotz ihrer Gegenwehr ergriff ich ihren Arm und registrierte ein paar ältere Wunden, die sie mir verschwiegen hatte. Ich machte mir Vorwürfe, und dann empfand ich nichts mehr, als ich bereit war, ihre Verletzungen zu absorbieren.
Anna zuckte zusammen, aber das ignorierte ich und sah zu, dass ihre tieferen Blutergüsse ausheilten. Um ihre gebrochenen Rippen hatte ich mich ja schon gekümmert, doch ihre Gehirnerschütterung bekam ich nicht in den Griff. Kopfverletzungen hatten die schlimmsten Auswirkungen auf mich und waren am schwersten zu heilen. Meine Mutter würde bohrende Kopfschmerzen bekommen, aber das würde sie schon überstehen, um dann doch irgendwann wieder zusammengeschlagen zu werden. Ich seufzte erleichtert auf, als ich fertig war, ließ sie los, und die vertrauten blauen Funken sprangen von meinen Fingerspitzen auf ihren Arm über.
Sie schreckte zurück und fing an zu weinen. Die energiebedingte Hitze, eine Begleiterscheinung der Heilung, hatte sich in Eiseskälte umgewandelt und ich zitterte. Meine Mutter wusste genau, wozu ich imstande war. Wie auch nicht, nach den vielen Malen, die ich sie geheilt hatte, nachdem ich mit zwölf meine Fähigkeiten entdeckt hatte. Sie hasste es und tat so, als gäbe es sie nicht, selbst dann, wenn auf meiner Haut genaue Abbilder der Blutergüsse sprossen, die auf ihrer verschwanden.
»Wo ist Dean?« Das Krächzen in meiner Stimme, wohl eine Folge der Strangulation, erschreckte mich und ich fragte mich, ob ich mich damit nun womöglich dauerhaft herumschlagen müsste.
»Der ist auch hier. Er … er hat sich beim … Sturz verletzt. Seine Rippen sind gebrochen. Die Ärzte sagen, das wird wieder.«
Ihrem Ton nach zu urteilen, hatte sie sich bereits eingeredet, das Unmögliche sei nie geschehen. Sie berührte meine Hand, was selten geschah. »Hör mal, Kleines. Die Bullen … die stellen einen Haufen Fragen, wollen wissen, was vorgefallen ist. Ich habe ihnen gesagt, das Ganze sei ein Missverständnis gewesen.«
Das erklärte, wieso sie bei mir saß anstatt bei Dean. Sie wollte sicherstellen, dass ich für sie log. Ich drehte mich weg, damit ich sie nicht mehr ansehen musste, und sie fuhr mir vorsichtig durchs Haar. Sie würde mir sagen, dass ich Dean nicht wütend machen solle. Wenn ich mich doch einfach benähme … immer wieder dieselbe alte Leier. Nie war es Deans Schuld, wenn er ihren Kopf mit den Fäusten traktierte. Es war ihre, denn sie hatte ihm das Bier nicht schnell genug gebracht. Es konnte nicht seine Schuld sein, wenn er seine angezündete Zigarette in meinen Arm bohrte. Ich hätte ihm meinen Gehaltsscheck vom Videostore aushändigen sollen.
Und tatsächlich, sie fing davon an, dass bei unserer Heimkehr alles anders würde. Wir müssten uns mehr anstrengen, eine Familie zu sein. Bei ihren Worten wurde mir übel. Ich hielt mir die Ohren zu und schrie in meinem Kopf: Halt bloß die Klappe!
Nachdem sie gegangen war, musste ich eingeschlafen sein, denn inzwischen war es dunkel im Zimmer und mein Vater war
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