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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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konnte nicht einschlafen. Das Rütteln des Zuges und seine Gedanken hielten ihn wach. Die Episode an der Grenze hatte ihn sehr beeindruckt und alle Zweifel zerstreut, die er bis jetzt noch an Grooms Darstellung der Situation gehabt hatte. Dies war die Wirklichkeit, und er hatte es mit mächtigen und zu allem entschlossenen Leuten zu tun. Er mußte ihnen mit Entschlossenheit entgegentreten. Jeder Fehler würde gefährlich sein. Bald schon sollte er sehen, wie gefährlich.
    Eine Weile mußte er eingedöst sein. Plötzlich war er hellwach und auf der Hut. Ein inneres Gefühl sagte ihm, daß etwas nicht in Ordnung war. Der Zug fuhr sehr schnell, und durch das Fenster konnte er den Himmel sehen, der im Osten langsam hell wurde. Plötzlich ertönte vom andern Ende des Ganges das unverkennbare Geräusch eines Schusses und drei Sekunden später folgten ihm rasch aufeinander zwei weitere.
    Mit einem Satz war er im Korridor. Der Mond war untergegangen, und es war noch nicht hell genug, um viel zu sehen, doch war ihm, als sähe er im nächsten Gang zwei Gestalten.
    Aufgeregtes Stimmengewirr sagte ihm, daß auch andere die Schüsse gehört hatten. Im selben Moment kreischten die Bremsen, und er verlor das Gleichgewicht. Es gelang ihm aber, sich an der Fensterstange festzuhalten. Schreie aus dem nächsten Wagen verrieten ihm, daß andere Passagiere weniger glimpflich davongekommen waren. Der Zug bremste, bis er zum Stehen kam. Offensichtlich hatte jemand die Notbremse gezogen.
    Zwischen ihm und dem Ort, von dem die Schüsse hergekommen zu sein schienen, lagen drei leere Abteile. Als der Zug hielt, hörte er eine der Türen klicken, die ins Freie führten. Er schlüpfte ins nächste Abteil und beugte sich aus dem Fenster, gerade zur rechten Zeit, um zwei dunkle Gestalten zu sehen, die querfeldein rannten.
    Er ging wieder in den Korridor zurück. Ein Bahnangestellter mit einer Laterne kam ihm entgegen. Groom trat aus dem Abteil, und Carruthers erzählte ihm, was geschehen war.
    Jetzt war der Bahnbeamte, der in jedes Abteil hineinschaute, schon ganz nahe. Plötzlich blieb er stehen und stieß einen Schrei aus.
    Die Passagiere drängten sich zu ihm hin. Groom stieß Carruthers beiseite und bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg zu dem Beamten, der mit einem Ausdruck des Entsetzens im Gesicht seine Laterne hochhielt. Carruthers folgte Groom und schaute über dessen Schulter in das Abteil.
    Dort lag, halb auf dem Sitz, halb am Boden, die Leiche eines Mannes. Aus einer großen Wunde auf der Stirn floß Blut. Das Licht der Laterne veränderte seine Züge ins Grauenhafte. Die Zähne waren zusammengebissen, die Augen starrten wild, das ganze Gesicht war vor Angst verzerrt. Trotzdem war der Tote leicht zu erkennen. Es war Rovzidsky, der ixanische Gesandte.
    Groom wandte sich als erster ab. Carruthers folgte ihm in das Abteil zurück. Für eine Weile starrte der rundliche, weißhaarige Mann, ohne den Tumult zu beachten, schweigend aus dem Fenster. Carruthers, der die Selbstbeherrschung Grooms bewunderte, hörte ihn nur einmal leise fluchen. Dann drehte er sich um und setzte sich wieder hin.
    »Es tut mir leid, Professor, daß ich Sie enttäuschen muß«, bemerkte er dann verärgert, »aber es scheint, daß ich etwas vorschnell gewesen bin. Unser Aufenthalt in Zovgorod wird länger dauern, als ich gedacht habe.«
    Danach hüllte er sich wieder in seine Reisedecke und schnarchte weiter. Als man ihn eine halbe Stunde später weckte, um ihn zu vernehmen, trug er eine gelangweilte Miene zur Schau.
     
    Um sieben, als der Zug eigentlich in Zovgorod ankommen sollte, waren es noch gut 60 Kilometer bis zur Hauptstadt. Von Schlaf war keine Rede mehr gewesen. Die Bahnbeamten waren durch den Mord völlig verstört, so daß sie die Passagiere abwechselnd beschimpften oder sie um Rat und moralische Unterstützung baten.
    Eines war klar: Wer immer den Gesandten erschossen hatte, hatte auch die Notbremse gezogen und den Zug durch die Tür, die er in der Eile zu schließen vergessen hatte, verlassen. Carruthers erwähnte die beiden Männer nicht, die er übers Feld hatte rennen sehen, weil er nicht wegen einer Zeugenaussage aufgehalten werden wollte. Zum Glück waren sie aber auch noch von einem andern Reisenden beobachtet worden, und dies, zusammen mit der Tatsache, daß die beiden Reisenden mit den martialischen Schnurrbärten, die Carruthers aufgefallen waren, nirgends zu finden waren, verstärkte den Verdacht der Bahnbeamten.
    Der Zwischenfall hatte

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