Der dunkle Grenzbezirk
Grooms Plänen ging, würde es nicht mehr lange dauern, und er wäre Mitwisser von Kassens Geheimnis. Die Zeit lag also nicht mehr fern, wo er, Carruthers, seine Karten aufdecken und zugleich gegen zwei Feinde kämpfen mußte, von denen keiner zu verachten war. Gegen Groom, hinter dem das Potential einer internationalen Organisation stand, und gegen die Gräfin Schverzinsky, die noch mehr zu fürchten war, wenn Groom sie richtig eingeschätzt hatte.
Er dachte über sein Problem nach.
Es genügte nicht, wenn er Kassens Geheimnis kannte. Er mußte auch verhindern, daß Ixanien die Bombe herstellte. Das war seine eigentliche Aufgabe. Was nachher mit der Kassenschen Geheimformel geschehen sollte, war eine andere Sache. Wenn der Weltfriede erforderte, daß sie zerstört wurde, dann mußte sie eben zerstört werden. Vorderhand ging es darum, die Herstellung der Bombe zu verhindern. Einen wesentlichen Teil des Laboratoriums zerstören? Der konnte wieder geliefert werden. Sabotage in irgendeiner Art würde die Herstellung bloß verzögern, aber nicht verhindern. Kassen töten? Mit dieser Möglichkeit hatte man sicher schon gerechnet und für seinen Schutz gesorgt. Er erkannte, daß er nichts tun konnte, bevor er nicht im Lande war und wußte, woher der Wind wehte.
Sie kamen am frühen Abend in Bukarest an. Regen peitschte an die Fenster, als sie in den Bahnhof einfuhren, und sie mußten länger als eine Stunde warten, bevor der Zug der Nebenlinie nach Zovgorod abfuhr. Sie verbrachten die Zeit in einem kleinen Café in der Nähe des Bahnhofs, wo Groom voller Behagen eine haarsträubende Geschichte zum besten gab, die er in der Hauptstadt erlebt hatte.
Der Zug nach Zovgorod bestand zur Hauptsache aus leeren Viehwagen, zwei sehr schmutzigen Personenwagen und einem Postwagen am Ende des Zuges. Sie würden erst um sieben Uhr früh in Zovgorod ankommen, und Carruthers freute sich keineswegs auf die vor ihm liegende 250 Kilometer lange Bahnfahrt. Groom bekämpfte überfeinen Ekel mit philosophischem Gleichmut und zog zu Carruthers Amüsement einen Parfümzerstäuber aus dem Koffer und versprühte Eau de Cologne auf die Polster. Um die Bakterien zu töten, versicherte er allen Ernstes.
Carruthers erster Gedanke galt der Gräfin und Rovzidsky. Er fand sie im andern Wagen in zwei verschiedenen Abteilen. Zu seinem Erstaunen war auch der Amerikaner, mit dem er im Zug Paris-Basel gegessen hatte, in diesem Wagen.
Außerdem waren da noch zwei Reisende, die er nicht ganz einordnen konnte. Sie trug einfache Kleider aus grobem Stoff, strahlten aber doch eine undefinierbare Autorität aus. Der Ältere der beiden mochte etwa vierzig sein und hatte auf der Stirn über dem rechten Auge zwei tiefe Narben. Sein Begleiter, den Carruthers auf fünfundzwanzig schätzte, hatte auf den Wangen die gewöhnlichen Schmisse. Er sah verbissen aus. Beide trugen martialische Schnurrbärte. Keiner von beiden hatte – wie Carruthers bemerkte – irgendwelches Gepäck. Die andern Reisenden waren Bauern mit ihren Familien.
Der Zug hatte vierzig Minuten Verspätung. Als er dann endlich abfuhr, ratterte er mit ziemlicher Geschwindigkeit dahin. Groom, der sich, Zigarre im Mund, auf seinem Platz räkelte, musterte Carruthers mit wohlwollendem Lächeln.
»Nun, Professor«, sagte er in herzlichem Ton, »es tut mir leid, daß Sie alle diese Unbequemlichkeiten über sich ergehen lassen müssen, aber ich kann Ihnen versichern, daß unser kleines Geschäft viel rascher erledigt sein wird, als es anfangs den Anschein hatte. Wenn nichts dazwischenkommt, werden wir schon in zwei oder drei Tagen wieder auf dem Heimweg sein, und zwar mit allen erforderlichen Informationen in der Tasche.«
Carruthers schaute so verblüfft als möglich drein.
Groom kicherte. Dann fragte er:
»Sagt Ihnen der Name Zazhoff etwas?«
Carruthers nickte.
»Ein Konkurrent, für den ich die größte Hochachtung habe, ja den ich bewundere. Aber er hat einen großen Fehler gemacht; er hat sich von Journalisten einwickeln lassen. Die Zeitungen haben ihn den ›Mystery Man von Europa‹ genannt. Geheimnis heißt für den Leser immer, daß er dahinterkommen muß. Wenn der Reporter kein Geheimnis wittert, schläft das Interesse des Lesers ein. Publicity mag zwar der Lebenssaft des gewöhnlichen Handels sein, aber für unsere Branche ist sie Gift. Ich schmeichle mir nicht wenig, daß es auf der ganzen Welt keinen Zeitungsmann gibt, der etwas von mir und meinen Geschäften weiß.«
Ein
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