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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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unterhalten. Er hatte durchaus eigenwillige Ansichten über das internationale Banksystem. Ich werde es mir angelegen sein lassen, diese Ansichten zu passender Zeit zu propagieren. Aber bei all dem blieb er irgendwie unreif wie ein Jüngling, der eben zum ersten Mal Paines Rights of Man gelesen hat – er hatte keinen Sinn für Proportionen.« Die letzten sechs Worte sagte sie betont langsam.
    Ich schwieg. Sie sah mir in die Augen und schien Carruthers ganz vergessen zu haben. »Jeder stirbt für sich allein, Mr. Casey. Und es ist auch gut so.«
    Hinter mir ging die Tür auf. Ich drehte mich um. Ein Mann stand unter der Tür. Er war groß und schlank. Seine blaßblauen Augen waren matt wie Kieselsteine. Sein massiver Schnurrbart konnte die Grausamkeit seiner dünnen Lippen nicht verbergen. Über der rechten Augenbraue waren zwei tiefe Duellnarben.
    »Dieser Herr«, sagte die Gräfin, »ist Oberst Marassin, mein Adjutant.«
    Der Offizier verbeugte sich leicht. Wir taten desgleichen.
    »Ich habe Sie hergebeten«, sagte die Gräfin auf französisch, »um Ihnen Professor Barstow und Mr. Casey zu zeigen. Ich möchte, daß Sie sich Ihre Gesichter einprägen. Der Professor hat sich freiwillig entschlossen, unser Land innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Mr. Casey hat mir sein Wort gegeben, daß er sich in Zukunft ausschließlich seinem Beruf widmen wird.«
    Marassins blaßblaue Augen blitzten vom einen zum andern.
    »Ich werde morgen früh selbst im Zug sein, der zur Grenze fährt«, sagte er mit einer unerwartet hohen monotonen Stimme.
    »Der Herr Oberst wird sicher nichts dagegen haben, wenn ich mir ein vollbesetztes Abteil aussuche«, bemerkte Carruthers in freundlichem Ton.
    Ein tödliches Schweigen folgte. Ich sah Marassins Augen zur Gräfin hinüberblitzen, sah ihr kaum wahrnehmbares Nicken und verfluchte innerlich Carruthers Dummheit.
    »Im Zug, mit dem ich nach Zovgorod gekommen bin«, fuhr dieser in leutseligem Ton fort, »wurde ein armer Teufel, dessen Namen ich nicht kenne, erschossen. Wissen Sie, Oberst, ich habe das Gefühl, als hätte ich Sie schon irgendwo gesehen.«
    Marassins Hand zuckte zu seiner Hosentasche, aber dann hielt er inne, und seine ausdruckslosen Augen sahen zur Gräfin hin.
    »Das ist sehr unwahrscheinlich«, bemerkte sie kühl. »Der Oberst erscheint sehr selten in der Öffentlichkeit.« Sie erhob sich und wandte sich zu Carruthers: »Oberst Marassin wird Sie morgen früh um zehn Uhr am Bahnhof erwarten, Professor. Das ist alles.«
    Die Unterredung war zu Ende. Marassin trat beiseite. Wir gingen zur Tür.
    »Adieu, Professor«, sagte die Gräfin.
    Carruthers schaute zurück und verbeugte sich leicht. »Adieu, Madame.«
    Ich aber sah Marassin an.
     
    Eine Stunde später saßen wir beim Dessert und hielten Kriegsrat.
    Carruthers antwortete auf meine Frage: »Meiner Meinung nach kann es überhaupt keinen Zweifel daran geben, daß Marassin für den Tod von Rovzidsky und Andrassin verantwortlich ist. Und ebenso sicher ist, daß ich der nächste auf der Liste bin.«
    »Was für Gründe könnten sie dafür haben?«
    »Sie haben ja gehört, was die Gräfin gesagt hat. Ich bin im hohem Maße verdächtig. Meine Verbindung mit Groom, der Verdacht, daß ich bei dem Einbruch gestern nacht irgendwie die Hand im Spiel gehabt habe. Diese Art Leute warten nicht auf rechtskräftige Beweise, sondern handeln.«
    »Aber warum verfrachtet man Sie dafür in den Zug?« fragte ich. »Man hätte Sie doch leicht gleich heute morgen kaltmachen können. Diesen Killer Marassin hat es ja förmlich in den Fingern gejuckt. Sie haben ihn allerdings auch ganz schön gereizt. Warum zum Teufel haben Sie behauptet, ihn schon irgendwo gesehen zu haben?«
    Er grinste. »Darauf kam es nicht mehr an. Mein Todesurteil war schon unterzeichnet.«
    Ich versuchte Einwände. »Hören Sie, Carruthers, glauben Sie nicht, daß Sie die Situation ein bißchen dramatisieren? Wenn man Sie wirklich hätte loswerden wollen, dann wäre das jetzt die ideale Gelegenheit dazu gewesen. Nun will man Sie doch bloß noch ohne Skandal über die Grenze bringen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Sie würden sich keine Sekunde mehr sicher fühlen, auch dann nicht, wenn ich außer Landes bin. Ich könnte reden. Sie wissen ja nicht, wieviel mir Groom erzählt hat. Und heute morgen konnten sie mich wirklich nicht umbringen. Erstens war ich im Haus der Gräfin und zweitens waren Sie dabei. Daß Sie von der Presse sind, macht die Angelegenheit für sie noch

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