Der dunkle Grenzbezirk
riskanter. Sie haben sich wahrscheinlich einfallen lassen, ich soll mich ganz normal von Ihnen verabschieden. Dann, wenn wir nicht mehr miteinander in Verbindung stehen, Schluß mit Professor Barstow, von Banditen erschossen oder ähnliches. Bedauernskundgebungen, Beileidschreiben, die Schuldigen werden ihrer gerechten Strafe nicht entgehen, ein oder zwei Bauern werden gehängt.«
Ich spürte, daß er recht hatte. »Der Fluch ist«, sagte ich bitter, »daß sie am längeren Hebel sitzen. Ich darf mich nicht in politische Angelegenheiten mischen. Abgekartetes Spiel oder nicht, ich sitze auf jeden Fall in der Patsche, wenn sie mich abschieben.«
Er nickte geistesabwesend und zog eine Weile an seiner Pfeife. Dann fragte er: »Was sollen wir denn Ihrer Meinung nach unternehmen?«
Mir schien die Frage rein rhetorisch, aber er schien eine Antwort zu erwarten.
»Ich nehme an, daß Sie nicht die Absicht haben, Ixanien zu verlassen?«
»Nicht die geringste. Einmal ganz abgesehen davon, daß ich nicht im Zug ermordet werden möchte, habe ich hier eine Aufgabe zu erfüllen.«
Ich stellte ihm eine Frage, die mich schon lange gequält hatte.
Er wich aus. »Wer ich in Wirklichkeit bin, darauf kommt es jetzt nicht an. Vielleicht kann ich es Ihnen bald sagen.« Er verfiel wieder in sein gedankenvolles Schweigen und ich sah, wie er zuerst seine Stirne runzelte, dann trat ein zorniger Blick in seine Augen, und endlich drückte sich auf seinem Gesicht blankes Erstaunen aus. Dann machte er mit seiner Hand eine Geste der Ungeduld. Darauf wandte er sich mir zu.
»Ich muß untertauchen. Sonst bleibt mir nichts übrig.«
»Ja. Aber wohin?«
Er zuckte die Achseln. »Wir müssen unbedingt zu Tumachin. Vielleicht kann er mir helfen.«
Tumachin hatte ich fast vergessen. Aber die Lage schien hoffnungslos. Ich kannte den Mann kaum. Außerdem war er sicher voll damit beschäftigt, seine eigene Haut zu retten, und konnte sich wohl kaum noch um unsere Angelegenheiten kümmern. Das sagte ich Carruthers.
Er ging darauf nicht ein. Es war, als redete er zu sich selbst: »Es mußte ja früher oder später passieren. Vielleicht ist es besser so. Jetzt wissen wir wenigstens, woran wir sind.«
Meine Kopfschmerzen, die Nachwehen des Betäubungsmittels, das wir im Taxi eingeatmet hatten, waren weg. Es ging mir wieder gut und ich fing an, die Dinge mit klarem Kopf zu betrachten.
»Hören Sie, Carruthers, glauben Sie nicht, daß wir uns wie Narren benehmen? Wäre es nicht besser, wir würden auf die Gräfin hören und uns raushalten?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Casey«, sagte er ruhig, »das wäre nicht besser. Zudem stecke ich schon zu tief in der Sache drin, als daß ich noch hinauskönnte, selbst wenn ich wollte, was aber gar nicht der Fall ist. Natürlich kann ich von Ihnen nicht verlangen, daß Sie Ihren Job riskieren und vielleicht auch Ihr Leben, um diese Sache zu Ende zu führen, aber wenn Sie sich irgendwie in der Lage fühlen sollten, weiter mitzumachen, wäre mir Ihre Hilfe angenehm.«
Es war ein Appell an meine Gefühle, der mich irritierte und zugleich durch seine maßvolle Art beeindruckte. Ich argumentierte nach allen Seiten. Er brachte das Gespräch wie zufällig wieder auf den Mord an Andrassin, und da wußte ich, daß ich wohl oder übel wieder mitmachen würde. Als wir zehn Minuten später aufbrachen, diesmal zu Fuß, um Tumachin aufzusuchen, hatte ich alles vergessen außer dem erregenden Unterfangen, das vor uns lag. Das war das letzte Mal, daß ich versucht hatte, Carruthers oder mich zu überreden, vernünftig zu sein. Ich hatte eingesehen, daß das pure Zeitverschwendung war.
Wir spielten das altbekannte Spiel und hielten Ausschau nach unsern Beschattern, bis Carruthers feststellte, daß die »Leibwächter« offensichtlich zurückgezogen worden waren. Das war ein Glück. Die Gräfin hatte offensichtlich beschlossen, daß wir genügend eingeschüchtert seien. Carruthers bestand jedoch darauf, daß wir am Englischen und Amerikanischen Konsulat vorbeigingen. Daß es vor beiden Gebäuden nur so von Müßiggängern wimmelte, war bestimmt kein Zufall, das leuchtete sogar meinem skeptischen Kopf ein. Wir machten nicht den Versuch, hineinzugehen. Es tat mir nicht leid.
Nach einigen Umwegen fanden wir endlich den Sa’ Maria Prospek. Es war eins der zahllosen Gäßchen, die wabenartig die älteren Stadtteile durchzogen. Nummer 11 war Teil einer schmucklosen Vorderfront, die aus drei Häusern bestand, in denen, wie auf
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