Der dunkle Grenzbezirk
Leidenschaftslosigkeit erschütterte uns. Schweigend saßen wir da. Nach einer Weile war er wieder ruhig und beherrscht und fragte mich in ernstem Ton: »Was hat Sie hierhergeführt?«
Ich brachte Ordnung in meine Gedanken und fing dann an. Carruthers nannte ich der Einfachheit halber Professor Barstow. Es überstieg meine Fähigkeiten, das Unzulängliche seiner Geschichte zu erklären oder gar zu rechtfertigen. Tumachin mochte glauben, daß es zu den Gewohnheiten englischer Professoren gehöre, sich von der wissenschaftlichen Arbeit zu erholen, indem sie die Wildwesthelden spielten. Ich bemerkte indessen, daß er einige Male neugierig zu Carruthers hinüberschaute, der seelenruhig seine Pfeife schmauchte, während ich meine Geschichte erzählte. Ich brauchte fast eine Stunde, bis ich endlich bei den Geschehnissen des Tages angelangt war, resümierte sie kurz und lehnte mich dann in meinen Stuhl zurück und zündete mir die langersehnte Zigarette an.
Tumachin schaute über den Tisch hinweg fragend zu dem Mann, der uns eingelassen hatte und der ein sehr aufmerksamer Zuhörer gewesen war. Dieser nickte langsam. Tumachin strich sich nachdenklich das Kinn und wandte sich dann zu mir.
»Wie Sie sagten, Monsieur Casey, waren wir schon über vieles, was Sie uns jetzt erzählt haben, informiert. Aber wir haben sehr viel Neues erfahren. Herr Professor geht gewiß nicht fehl in der Annahme, daß Oberst Marassin ihn morgen umbringen will. Darüber wollen wir uns später unterhalten. Was mich im Moment brennend interessiert, ist: Was will der Professor? Will er die Kassensche Formel für sich selber?« Er drehte sich plötzlich um und blickte Carruthers direkt an.
Carruthers antwortete ihm.
»Das einzige, was ich wünsche, ist die totale Vernichtung von Kassens Formel samt aller Kopien. Ich möchte verhindern, daß diese Erfindung der Wissenschaft zum grauenvollen Ende unserer alten Kultur wird.«
»Und Sie haben keine Gewissensbisse, wenn Sie diese Formel zerstören?«
»Überhaupt nicht. Was der Mensch einmal erfunden hat, kann ein anderer noch einmal erfinden. Ich glaube, daß wenn noch einmal jemand Kassens Geheimnis entdeckt, die Welt imstande sein wird, diese Erfindung zu ihrem Segen anzuwenden. Vielleicht werden wir es nicht mehr erleben, aber diese Zeit wird kommen.«
Tumachin wandte sich zu mir.
»Es war die Idee des Professors, daß Sie zu mir kommen sollten, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Das habe ich mir gedacht«, sagte er und wandte sich wieder zu Carruthers. »Ich hatte die Absicht, die Entdeckung Kassens an einem sicheren Ort zu verwahren und sie so lange versteckt zu halten, bis ich mit gutem Gewissen annehmen kann, daß sie keinen Schaden mehr anrichtet, wenn die Welt von ihr erfährt.«
Carruthers schaute ihn einen Moment an und schüttelte dann den Kopf. »Meine Methode ist sicherer, Monsieur«, sagte er dann. »Solange diese Geheimformel überhaupt existiert, so unzugänglich sie im übrigen auch sein mag, besteht Gefahr. Die Menschen haben Schlachtschiffe und Gewehre gebaut. Sie behaupten, das seien bloß Abwehrwaffen, und sie würden sie unter keinen Umständen für einen Angriff verwenden. Aber es kommt immer wieder eine Zeit, wo Furcht die Leute um ihren Verstand bringt. Sie wenden sich dann an ihre Führer. Wenn nun diese Führer etwas von Strategie verstehen, dann wissen sie auch, daß Angriff die beste Verteidigung ist. Und damit ist der Schaden schon geschehen. Die Waffen, die eigentlich nie hätten verwendet werden sollen, werden jetzt ihrem eigentlichen Verwendungszweck zugeführt. Wir können keine neue Welt schaffen, solange Menschen, und hätten sie die besten Absichten, Zerstörungswaffen auch nur besitzen.«
Tumachin kratzte sich am Kinn, schaute erst zu mir und dann zu dem Mann auf der andern Seite des Zimmers. Im Zimmer war es still. In einem andern Teil des Hauses sang eine Frau leise ein Lied.
»Sie haben recht, Professor«, bemerkte Tumachin endlich. »Meine Vernunft sagt mir, daß Sie recht haben. Aber als Politiker muß ich sagen, daß alles gut wäre, wenn die Kassensche Formel Tumachin anvertraut wäre. Sie werden zu Recht einwenden, daß auch andere schon ähnliche Gedanken geäußert haben, daß zwar der Mann aus dem Volk sich selber treu sein kann, ein Volksführer aber getrieben wird von den Hoffnungen und Befürchtungen der Masse, die hinter ihm steht. Das ist richtig. Es sind aber einzig Vernunftgründe, die zu brauchbaren Entscheidungen führen können. Die
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