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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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sie mitnehmen, und niemand kann mich daran hindern. Dummköpfe haben sich zu allen Zeiten gierig auf die Leistungen großer Männer gestürzt, aber diese Leistungen haben die Dummköpfe immer überlebt. Sie haben Jakob Kassen, den genialsten Mann seiner Zeit, getötet, aber sein Werk wird weiterleben. Das verspreche ich Ihnen.«
    Plötzlich spürte ich einen Hoffnungsschauer. Während sie sprach, war mir aufgefallen, wie sich Carruthers ganz unmerklich nach links schob, so daß die Gräfin nun zwischen ihm und Marassin stand und dieser nicht schießen konnte, ohne ganz sorgfältig zu zielen, weil er sonst die Gräfin gefährdet hätte. Ich sah, wie er sich zögernd bewegte, um uns wieder ins Schußfeld zu kriegen, und in einem unachtsamen Moment erwischte ihn Carruthers. Er öffnete den Mund, als wollte er der Gräfin antworten, und warf sich dann auf Marassins Beine.
    Marassin schoß einmal, und von der Decke fiel ein Stuckregen auf mich herab, während die beiden heftig miteinander kämpfend zu Boden krachten. Ich muß gestehen, daß ich einen Augenblick lang völlig den Kopf verlor und stocksteif stehenblieb, unfähig zu denken. Dann hörte ich neben mir ein Rascheln, und die Anwesenheit der Gräfin wurde mir wieder bewußt. Bevor ich aber irgend etwas tun konnte, hatte sie schon das Licht ausgemacht und war durch die Tür verschwunden. Als ich nach der Klinke griff, hörte ich, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Die Geräusche eines verbissenen Kampfes kamen aus der andern Ecke des Zimmers, und ich suchte verzweifelt nach dem Lichtschalter. Im tintenfarbenen Licht, das durchs Fenster kam, sah ich einen Moment die beiden Männer, die einander umklammert hielten, sah sie schwanken und hörte sie dann zu Boden fallen. Von draußen kam das schwache Geräusch eines Wagens, der angelassen wird. Im selben Augenblick fanden meine Finger den Schalter, und ich drehte ihn an. Als das Licht brannte, sah ich, wie Carruthers sich hochrappelte. In der Hand hielt er Marassins automatische Pistole. Dann sah ich Marassin, der mit vor Wut verzerrtem Gesicht nach einer kleinen Bronze griff, die auf dem Schreibtisch stand, und ausholte, um sie nach Carruthers zu werfen. Ich stieß einen Warnschrei aus. Bevor er verklungen war, hatte Carruthers schon zweimal geschossen.
    Marassin schien einen Augenblick lang in Stein verwandelt. Sein hocherhobener Arm blieb mitten in der Bewegung stecken. Dann fiel er herab, der Oberst fing an zu husten, die Bronze knallte auf den Boden, und immer noch hustend, sackte der Oberst in sich zusammen.
    Carruthers schaute kurz zu ihm, dann zu mir. Er keuchte und leckte sich fiebrig die Lippen.
    »Fehlt Ihnen was?« fragte ich.
    »Nein. Wo ist sie?«
    »Sie hat die Türe zugesperrt. Während Sie auf dem Boden kämpften, hörte ich einen Wagen starten. Sie kann nicht weit kommen, wir brauchen uns also keine Sorgen zu machen.«
    Er steckte die Pistole in seine Tasche und ging zum Fenster.
    »Hier raus«, sagte er. »Sie können hinunterspringen, ohne daß Sie Ihren Arm brauchen. Diese Frau kommt womöglich überall durch, und ich bin erst zufrieden, wenn ich auch die zweite Kopie mit eigenen Augen verbrennen sehe.«
    Er riß das Fenster auf, und, mit einem Blick auf den jetzt stummen Marassin, trat er auf den Balkon. Ich folgte ihm, und einige Sekunden später rannten wir, als ob uns die ganze Gesellschaft vom Roten Fehdehandschuh auf den Fersen wäre.
     
    Als wir die Stelle erreichten, wo wir Grooms Wagen geparkt hatten, war ich ganz schön fertig und froh, daß ich mich auf den Sitz neben Carruthers sinken lassen konnte, der schon mit laufendem Motor auf mich wartete.
    Wir hielten bei der ersten Straßensperre. Erklärungen waren nicht nötig. Einer der Männer schiente seinen gebrochenen Arm, ein anderer lag mit einer blutenden Kopfwunde auf der Straße. Die Gräfin war mit dem Mercedes glatt durch die Sperre hindurchgerast. Die Leute hatten nicht einmal Zeit gehabt, wegzurennen. Der Anführer berichtete, sie habe die Straße genommen, die im Westen aus der Stadt hinausführte.
    Carruthers startete, der Wagen schoß los, und wir jagten hinter der Gräfin her. Minuten später erreichten wir die Barrikade auf der Straße nach Westen. Dort hatte man weder die Gräfin noch ihren Wagen gesehen.
    »Sie muß umgekehrt sein«, sagte Carruthers und wendete. »Die kürzeste Straße zur Grenze führt in südöstlicher Richtung, und ich glaube nicht, daß sie nach Kutsk oder Grad fährt, sondern zur Grenze.

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