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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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ihm.«
    Das überraschte mich. Der Prinz hatte mir nicht den Eindruck gemacht, als höre er das Gras wachsen. Ich sagte das zu Carruthers. Der lachte leise.
    »Er bekam einen Wink. Wir konnten es uns nicht leisten, ihn im Land zu haben. Als Führer der aristokratischen Partei wäre er selbstverständlich erschossen worden. Das wäre schlecht für die neue Regierung gewesen. Er hat einflußreiche Verwandte im Ausland.«
    »Vielleicht hat er seine Schwester gewarnt?«
    »Dazu hatte er keine Zeit.«
    Er drückte meinen Arm, bat mich, nicht mehr zu sprechen, und stieg die Treppe hinauf. Ich hinterher. Sehen konnte man nichts, und ich zählte neun Stufen, bevor wir an eine Tür kamen, die in einem ungewöhnlichen Winkel in die Mauer eingelassen war. Carruthers faßte meine linke Hand und hob sie über meinen Kopf. Meine Finger trafen auf Holz. Ich spürte eine schräge Fläche und fuhr mit der Hand vorwärts und zurück. Dann begriff ich. Wir standen unter der Haupttreppe, die von der Halle hinauf zu den oberen Stockwerken führte, direkt hinter dem Dienstboteneingang. Carruthers lehnte sich leicht dagegen, und die Türe öffnete sich einen Spalt.
    Wir blieben ungefähr fünf Minuten stehen. Der Morgen graute, und das Licht, das durch den Türspalt fiel, ließ mich schwach die Umrisse einzelner Dinge erkennen. Mir war kalt, mein Handgelenk schmerzte, und ich hatte Hunger. Und vor allem hätte ich gern einen Drink gehabt.
    Eine Weile hörten wir von oben keine Bewegung mehr. Dann wurde eine Tür ins Schloß geworfen, und wir hörten Schritte. Jemand kam die Treppe herunter. Dann hallten die Schritte auf dem Parkett, eine Tür ging auf, und dann hörten wir nichts mehr.
    Kurz darauf machte Carruthers die Tür des Dienstboteneingangs ganz auf, und wir traten in die Halle. Aus einem Zimmer am andern Ende der Halle fiel ein schmaler Lichtstreifen. Ich ging hinter Carruthers her auf sie zu. Als wir vor der halboffenen Tür angekommen waren, blieben wir stehen. Leises Rascheln von Papier war von drinnen zu hören. Dann sah ich, wie Carruthers seinen Revolver hob, sich nach vorne lehnte und die Türe geräuschlos aufstieß.
    Es war das Arbeitszimmer der Gräfin, und sie war es auch, die in einem Pelzmantel vor ihrem Safe stand. In einer Hand hielt sie ein Bündel Papiere. Ein Haufen verkohlten und brennenden Papiers im Kamin zeigte, was sie tat. Als sie in mein Blickfeld trat, flatterten gerade weitere Papierfetzen ins Feuer. Sie wandte sich nicht zu uns um.
    »Kommen Sie doch herein«, sagte sie geistesabwesend.
    Wir traten ein. Carruthers hielt die Pistole auf sie gerichtet.
    »Ich habe Sie erwartet, Professor«, sagte sie, während sie den Rest der Dokumente den Flammen übergab.
    Ich fuhr zusammen, aber Carruthers blieb gefaßt.
    »Madame verfügen über einen bewundernswerten Scharfsinn«, sagte er freundlich und fügte im selben Ton hinzu: »Ich nehme an, daß Sie wissen, warum ich hier bin?«
    Sie drehte sich lächelnd um. Sie sah aus, als gewähre sie dem Gesandten eines befreundeten Landes eine Audienz.
    »Aber sicher weiß ich das, Professor. Zu meinem Bedauern muß ich Ihnen aber sagen, daß wir Ihrer Bitte nicht stattgeben können.«
    Carruthers hob die Brauen. »Wir?«
    »Oberst Marassin steht direkt hinter Ihnen.«
    Ich spürte bitter die Erregung von Furcht. Wir waren also in der Falle. Besiegt von einem Mann und einer Frau in einem Haus, das von unseren Verbündeten umstellt war. Wir waren schöne Narren gewesen, zu glauben, es mit diesen Leuten aufnehmen zu können.
    »Wenn Sie Ihre Pistole senken und einen Schritt näher kommen, aber ganz langsam«, sagte sie auf französisch, »dann kann vielleicht Oberst Marassin seine Lust, Sie zu töten, noch einen Augenblick hinhalten.«
    Carruthers senkte seinen Arm, und die Waffe wurde ihm aus der Hand geschlagen. Marassin trat neben die Gräfin.
    »Mein Bruder«, fuhr sie in sanftem Ton fort, »hat mir vor seiner erzwungenen Abreise eine Botschaft hinterlassen. Die Stadt ist, so viel ich weiß, in den Händen von Rebellen.«
    »Da muß einer einen Fehler begangen haben«, murmelte Carruthers, »aber es ist so, wie Sie sagen, Madame.«
    Sie seufzte. »Oft entscheiden geringfügige Dinge das Schicksal von Nationen. Wenn man mich nicht zum Laboratorium gerufen hätte, hätte ich die Warnung meines Bruders früh genug gelesen, um die Truppen aus Kutsk und Grad zurückzubeordern, um mit der Situation zurechtzukommen. So ist es aber wohl zu spät, nicht wahr? «
    »Vor einer

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