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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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Stunde wurde Zovgorod von der Außenwelt abgeschnitten, Madame.«
    Sie nahm diese Feststellung ohne weitere Fragen entgegen.
    »Das habe ich mir gedacht. Immerhin tröstet mich eins: Die Bauernpartei scheint über bessere Köpfe zu verfügen als diese Tölpel von Republikanern, die die Monarchie stürzten. Die Aufstände in Grad und Kutsk waren eine sehr gute Idee.«
    Carruthers verbeugte sich. »Madame ist zu freundlich.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch.
    »Sie?« Sie schaute ihn prüfend an. »Wer hätte das gedacht! Wer hätte solche Fähigkeiten bei einem Professor vermutet. Wir haben Sie ganz schön unterschätzt. Mir kam schon früher einmal ein Verdacht, aber Oberst Marassin versicherte, Sie seien wirklich so dämlich, wie Sie aussehen. Etwas ist mir aber immer noch nicht klar: Waffenfabrikanten pflegen ihre Ziele nicht zu erreichen, indem sie revolutionäre Bewegungen unterstützen. Sie halten es doch gewöhnlich mit Diktaturen.«
    »Ich verstehe Ihr Problem, Madame«, sagte Carruthers. »Offensichtlich bin ich ein mißverstandener Mann. Auch Mr. Groom hatte das Pech, mich für den zu halten, für den ich mich ausgab.«
    »Für wen arbeiten Sie dann, Professor?«
    Ich sah, wie Carruthers Gesicht einen leeren Ausdruck annahm. Er schien seine Geistesgegenwart verloren zu haben. Vergeblich wartete die Gräfin auf eine Antwort. Endlich zuckte sie die Schultern.
    »Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an«, sagte sie dann. »Vielleicht sagen Sie mir aber noch, wo sich dieser Mr. Groom momentan aufhält?«
    Carruthers Selbstsicherheit war wieder zurückgekehrt. »Mr. Groom«, antwortete er, »wandert momentan durch die Nacht nach Zovgorod. Mr. Casey und ich benutzten seinen Wagen.«
    »Dann«, sagte sie nachdenklich, »haben Sie nichts aus dem Laboratorium mitgenommen?«
    »Gar nichts, Madame. Aber das Laboratorium existiert nicht mehr. Einige Hitzköpfe wollten den Staudamm sprengen, als Vergeltungsmaßnahme für den gemeinen Mord an Andrassin, den der Herr Oberst hier auf dem Gewissen hat. Besonnenere Elemente der Jungbauern-Partei waren glücklicherweise in der Lage, die Energien dieser Leute in harmlosere Bahnen zu lenken. Dort, wo das Laboratorium stand, ist jetzt ein großes Loch im Boden.«
    Er hatte französisch gesprochen, ohne Zweifel, damit Oberst Marassin auch etwas davon hatte, und ein leichtes Zucken von dessen Lippen zeigte mir, daß der Hieb gesessen hatte. Die Gräfin war blaß geworden, zeigte aber ansonsten keine Gefühle.
    »Ist jemand dabei umgekommen?« fragte sie ruhig.
    »Bei der Explosion nicht, Madame, aber bei der Schießerei, die dem Versuch des Herrn Oberst, eine Hinrichtung zu inszenieren, folgte, wurde ein Zivilist namens Kassen getötet.«
    Ich hörte, wie sie die Luft einzog. Sie warf einen Blick zu Marassin. Sein Gesicht war ausdruckslos. Die Hand, die den schweren Revolver hielt, zitterte nicht, seine Augen starrten uns unverwandt an.
    »Ich verstehe«, sagte die Gräfin endlich. Sie trat ans Fenster und schaute einige Sekunden ins Dunkle hinaus, bevor sie sich wieder zu uns wandte.
    »Was genau wollen Sie eigentlich erreichen?« fragte sie.
    »Verhindern, daß von Kassens Erfindung Gebrauch gemacht wird, und jeden Hinweis zerstören, der sie wieder möglich machen könnte«, antwortete er prompt.
    »Warum?«
    »Um die Zivilisation zu retten, Madame«, sagte Carruthers. Für meine Ohren tönte es ziemlich geschwollen.
    Sie stieß einen gereizten Ton aus.
    »Sie reden daher wie ein Politiker. Diese ihre sogenannte Zivilisation, worauf läuft sie denn schon hinaus? Eine Verschwörung der Mittelmäßigkeit. Worin besteht denn der Fortschritt von den Barbaren? Das Leben ist für den häßlichen Körper ein bißchen bequemer geworden und für den schwachen Geist dafür umso komplizierter. Sie haben aus Demut und Mitleid Tugenden gemacht, weil die meisten Menschen unterwürfig und schwach sind und sich vor den wenigen Starken fürchten. Den Sklaven mißfiel die Stärke ihrer Herren, und so schufen sie die Moral, einen Aberglauben, um sie an sich zu binden. ›Vor Gott sind alle Menschen gleich‹ – die wahnsinnige Tyrannei der Unfähigkeit, die die unbedeutenden Menschen, die auf der Erde herumkriechen, aufwiegelt, diejenigen, die in den oberen Regionen leben, zu sich herunterzuzerren, damit auch sie die Stinkluft: der Demokratie einatmen und ihre unsterblichen Seelen keinen Schaden nehmen.«
    Sie war bei den letzten Worten immer lauter geworden und hatte sie uns geradezu

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