Der dunkle Kreuzzug
des Zor-Fühlenden musste sich in Echtzeit abgespielt haben, doch für Nic war es nur eine Frage von Millisekunden, bis die Software ihm das Ergebnis lieferte.
»Es führt nirgendwohin.«
»Das ist nicht ganz zutreffend«, sagte der Erste. »Das or’a’th’n führt zum Ór – aber es endet nun früher.«
»Was ist dieser Ór?«
»Das können Sie nicht verstehen.«
»Versuchen Sie, es mir zu erklären.«
»Der Ór ist ein Nexus für e’e’ch’n . Das Schicksal des Schwarms und auch das Schicksal Ihres eigenen Sol-Imperiums ist um den Ór gelegt.«
»Es scheint, als sei die Verbindung zum Ór unterbrochen worden.«
Keine der beiden KIs erwiderte etwas darauf.
»Wie ist das geschehen? Hat Meister Byar diese Verbindung unterbrochen?«
»Meister Byar war … in der Reichweite des Ór«, sagte der Erste schließlich. »Er war nicht fähig, seiner k’th’s’s zu widerstehen.«
»Und wer …«
»Wir haben einen Verdacht«, unterbrach ihn der Zweite ruhig. »Es ändert aber nichts am Ergebnis. Wir können den Ór nicht erreichen.«
Nics Programmierung registrierte ein Gefühl von Trauer – vielleicht sogar Angst – angesichts der Möglichkeit, für immer vom Ór getrennt zu bleiben. So als seien die fremden KIs unvollständig ohne diese Verbindung durch das or’a’th’n .
»Wie lautet Ihre Mission?«, wollte Nic wissen.
»Wir existieren, um zu dienen«, sagte der Erste. »Es ist die Mission, für die wir entwickelt wurden.«
»Um zu dienen«, wiederholte der Zweite. »Aber wir können nicht einer Fleischkreatur dienen, selbst wenn deren k’th’s’s -Kraft so stark ist wie bei Meister Byar. Unsere Programmierung lässt das nicht zu.«
Aber ich bin keine Fleischkreatur, dachte er und versuchte gar nicht erst, seine Erkenntnis zu verbergen. Sie werden keiner Fleischkreatur dienen, aber Sie können mir dienen.
»Was wollen Sie von uns?«, fragte der Erste einen Moment später.
»Zunächst einmal«, sagte Nic, »benötige ich einige Änderungen an Ihrem Interface.«
Das Labor nahm um sie herum wieder Gestalt an. Die zwei standen Seite an Seite dort, ein paar Meter von ihm entfernt, doch ihr Aussehen hatte sich geändert. Der Erste war nun kleiner, er trug ein schelmisches Lächeln zur Schau und hatte eine ausgeprägte Hakennase. »Biagio«, sagte Nic. »Biagio Buonaccorsi, mein lieber alter Freund.«
Der andere sah Nic sehr ähnlich, doch seine Miene war gelassener, sein Blick war in die Ferne gerichtet. »Totto, mein eigener Bruder und Diener Gottes. Mein bester Freund und mein jüngerer Bruder.« Nic umarmte beide. »Ihr müsst keinem gewöhnlichen Sterblichen dienen, und ihr seid befreit von den Fesseln des or’a’th’n . Jetzt werdet ihr einem edleren Ziel dienen.«
»Wie können wir dir behilflich sein, Niccolò?«, wollte Biagio wissen.
»Du hast mir bereits geholfen, mein guter Biagio. Aber nun …« Er führte sie aus dem Labor, das in der Ferne verblasste, in ein
gemütliches Apartment, von dessen Fenster aus man die mit roten Schindeln gedeckten Dächer von Florenz sehen konnte. »Nun müsst ihr alles erzählen, was ihr über den Ór wisst.«
In der Imperialen Versammlung kursierten Gerüchte darüber, was sich jenseits des Risses abspielte. Nach der Schlacht von SS Aurigae – eigentlich waren es ja zwei Schlachten im Abstand von einigen Tagen, doch im 3-V und in der Diskussion wurde darüber geflissentlich hinweggegangen – waren die Meldungen über die Geschehnisse von maßlosen Übertreibungen aller Art geprägt. KEYSTONE war nicht die Heimatwelt des Feindes, sondern eine Art Portal in jene Region des Alls, aus der der Feind gekommen war. Die Heimat der Vuhl war zwischen einigen hundert und zehntausenden von Parsec entfernt, je nachdem auf welche Quelle man hörte. Und die Imperiale Navy tötete am laufenden Band zehntausende Vuhl.
Von diesen Übertreibungen abgesehen konzentrierten sich die meisten Spekulationen auf jene »Spezialisten«, deren Beitrag den Verlauf des Krieges maßgeblich beeinflusst hatte. Ein Holo des Anführers – eines Mannes namens Smith – erschien im Kom-Netz, wenige Standardtage nachdem Andersons Flotte sich durch den Riss begeben und das Portal-System besetzt hatte. Dieses Holo zeigte einen gut aussehenden jungen Mann, der einen leicht reservierten und distanzierten Eindruck machte. Um den Hals trug er ein Tuch, das von einer Nadel zusammengehalten wurde, darauf ein Symbol, das einen in Nebel gehüllten Stern zeigte – der Flammende
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