Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
zuckte zusammen, als wäre ich selbst getroffen. Tian hatte mir oft von der Jagd erzählt, und ich hatte mir ausgemalt, dass sie ruhmreich war und erregend. Ein Triumph. Aber hier, im Morgenlicht, hatte sie etwas erschreckend Nüchternes, Rohes. Es war kein Kampf, kein Kräftemessen, nur ein Sieg. Der riesige weiße Körper bäumte sich nicht auf, er erzitterte nur, als hätte er einen elektrischen Schlag erhalten, die Schwanzflosse klatschte einige Male zuckend gegen den Mast, dann blieb der Fisch schräg über dem Spalt liegen. Rotes Wasser schäumte auf, als Juniper neben ihrer Beute aus dem Wasser hochschoss, atemlos, mit blauen Lippen und blitzenden Augen.
    Das Seil an meiner Taille ruckte, meine Beine kribbelten, als ein jäher Sog an ihnen zerrte, so als würde das Meer Atem holen. Dann schoss etwas auf der anderen Seite aus dem Wasser. Meerwasser regnete auf das Schiff, der weiße Schatten verschmolz mit dem Himmel, und trotzdem erkannte ich jede Einzelheit. Ich hatte keine Angst um die Graue, ich starrte nur die verletzliche Stelle des zweiten Hais an. Und plötzlich war es, als würde mich eine Welle von Fieber erfassen. Mein Körper reagierte ganz von selbst: meine Hand, die zupackte, das Seil das mir den Atem nahm – ein Ruck in meiner Schulter, als ich zustieß und die Harpune davonflirrte wie ein weiterer Raubfisch. Aber nur Amads Harpune traf, meine verfehlte das Ziel um sieben Millimeter und zerbrach an der Eisenhaut. Der Fisch erschlaffte noch im Sprung und fiel in einer perfekten Parabelkurve, dessen Endpunkt zweiundfünfzig Zentimeter vor mir liegt!
    Für Angst blieb keine Zeit, nicht einmal für einen Gedanken. Die Zeit zerfiel in eine Abfolge von Details. der Aufprall, das Schlittern, das schleifende Geräusch auf Holz. Fischhaut, die glitzerte wie Salzkristalle. Zähne, die Rillen in die nassen Planken gruben. Das Seil, das zu surren schien, als ich es spannte und mich unter den Bootsrand krümmte. Und dann das hässliche Geräusch, als es halb zerschnitten wurde, halb zerriss, während mich eine kalte raue Masse unter Wasser drückte – ohne Halt und Sicherung. Salz brannte in meiner Nase und meinem Rachen. Meine Nägel kratzten über schartige Muscheln, die den Bootsrumpf überwucherten, und ich krallte mich fest wie eine Katze, zog mich zur Seite und nach oben, bis zwei Hände meine Handgelenke packten und mich an Deck zogen. Seine raue Haut hatte den Hai gebremst, er lag noch zu drei Vierteln im Boot, nur der Kopf hing mit offenem Maul ins Wasser, mein Seil zwischen den Zähnen. »Gut ausgewichen«, sagte Amad atemlos. »Aber das nächste Mal zielst du besser!«
    *
    Wir feierten keinen Sieg, wir lauerten und warteten, aber kein weiterer Hai ließ sich blicken. Mir war übel vom Schlingern des Bootes, das immer stärker wurde. Juniper und Amad hatten die kostbare Fracht hastig mit Seilen gesichert und verzurrt. Regen hatte eingesetzt, Wind peitschte das Wasser und stieß uns in immer tiefere Wellentäler – und ganz plötzlich krachte das Boot gegen etwas, das wie ein warziger hellgrauer Rücken wirkte. Die Wucht warf uns herum, das Schiff bockte und schabte über Stein, bis die Welle es wieder davonzog.
    »Klippen!«, schrie Juniper. »Verdammt!«
    Der Motor röhrte auf, dann lenkte sie das Boot von den Felsen in tieferes Wasser. Gewittersonne ließ die nassen Häute unserer Beute glitzern wie Juwelen. Eine Bö verpasste dem Meer eine Gänsehaut, der Nebel riss endgültig auf und gab den Blick frei auf eine schartige Küste, weißgrau und schwarz gefleckt wie das Fell einer riesigen Raubkatze. Klippenzähne ragten aus schäumenden Strudeln – und zwischen diesen Zähnen hingen die Skelette gestrandeter Schiffe. Unzählige mannsgroße schwarze Boote thronten wie Skulpturen auf den Spitzen von Klippen – die Totenboote mit den Knochen Verstorbener aus dem Schädelhafen, die ihre letzte Reise hierhergeführt hatte. Die Ebbe hatte die Boote schwebend auf Felsspitzen zurückgelassen. Möwen kreisten über der bizarren Szenerie.
    »Keine Chance«, rief Juniper. »Anlanden unmöglich.«
    »Fahr nach links«, schrie Amad gegen den Wind an. »Bei den flacheren Klippen springen wir ab!«
    Na wunderbar . Zwei Haie erlegt – und dann vor der Küste gestrandet.
    »Was ist mit eurem Anteil?«, rief Juniper.
    »Falls wir nicht zurückkommen, gehört er dir. Los!« Amad gab mir einen Wink und ich rappelte mich mechanisch auf. Mit klammen, vor Kälte tauben Händen suchte ich unser Gepäck zusammen.

Weitere Kostenlose Bücher