Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
Höhnisches Gelächter hallte durch die Luft, dann waren wir hinter dem Boot und schoben uns hinter diesem Sichtschutz durch das knietiefe Wasser. Die Streitworte der Soldaten verhallten, nur das Rabenkrächzen begleitete uns und erinnerte mich wie ein dunkles Omen an meine Träume.

Das Dornenschiff lag eine Meile weiter auf der Seite wie ein stacheliges Ungeheuer, das sich noch mit letzter Kraft an Land geschleppt hatte. Immer noch starb es, stöhnend und klagend, mit Spanten, die sich bogen und brachen, wenn das Meerwasser durch die Lecks strömte. An den Klippen fächerte sich donnernde Brandung zu schäumenden Fingern auf, die versuchten, nach dem Schiff zu greifen. Kaum eine halbe Meile dahinter erhob sich die Nebelwand. Im Sand zeugten frische Spuren davon, wohin sich die Verbannten davongeschleppt hatten. Die Flut hatte die Spuren noch nicht erreicht. Ich spürte meine Schwester so nahe wie vor wenigen Tagen beim Schädelhafen. Mit geschlossenen Augen hätte ich ihrer Spur folgen können. »Sie sind in die andere Richtung bergauf gegangen!«
    Ich wartete nicht auf Amad, sondern rannte los.
    Ich hatte mir eingebildet zu wissen, was Kälte ist. Aber dieser Wind schnitt mit Messerklingen und meine nasse Kleidung verwandelte sich in einen schabenden, starren Panzer. Ich taumelte mehr, als ich lief, und als ich zum dritten Mal anhielt und nach Luft rang wie eine Ertrinkende, hob Amad mich kurzerhand hoch und trug mich den Steilweg zwischen den Uferfelsen hinauf. Über seine Schulter hinweg sah ich auf die Küste. Die Soldaten hatten die Verbannten, nun holten sich Plünderer ihren Teil. Zerlumpte Gestalten ballten sich um das Schiff, Äxte bissen Löcher in den Rumpf. Seile und Segel wurden heruntergeschnitten. Ich schauderte. Und für einen unbehaglichen Moment bildete ich mir ein, dass zwei der Gestalten flackerten wie Rauch.
    Amad setzte mich vor einem schmalen Felsspalt ab. »Geh voraus!«
    Ich wollte protestieren, dass der Weg im Bogen nach Osten bergauf führte, aber meine Lippen waren gefühllos und wie gelähmt. Amad schüttelte den Kopf, als hätte er meine Gedanken gehört. »Willst du Tian und seine Geliebte in Gestalt eines Todesschattens verfolgen?«, fragte er lakonisch. »Glaub mir: Die Kälte tötet schneller als die Hitze.«
    Nur ein Körper passte durch den Spalt, aber dahinter führte ein Gang in eine flache, niedrige Höhle, deren Wände im hinteren Teil erstaunlicherweise zu einer glatten Kammer gemeißelt waren. Vielleicht war es ein Unterschlupf von Plünderern. In einer Kuhle im sandigen Boden befanden sich die Reste einer Feuerstelle. Einige Zweige und ein halb verkohltes Stück Holz lagen noch darin. Ein Luftzug zeigte, dass die Kammer einen Abzug im Fels hatte. Amad warf den Rucksack neben die Feuerstelle und griff zu seinem Messer und dem Kurzgewehr.
    »Wo gehst du hin?«
    »Dafür sorgen, dass wir in den nächsten Tagen nicht erfrieren. Hier, der Revolver ist in seiner Schutzhülle trocken geblieben. Geh nicht raus, was du auch hörst. Und falls ein Soldat auftaucht, frage nicht, schieß!«
    Die nasse Kleidung klebte an meiner durchweichten Haut, während ich auf den Gang starrte, die entsicherte Waffe in meinen tauben Händen. Erst jetzt merkte ich, wie erschöpft ich war. Ohne Amad spürte ich meine Geschwister so nah, als würden sie sich an mich schmiegen. Ihr Flüstern verstand ich nicht, aber ich fing ihr Drängen auf, ihre Furcht, ihre stumme Warnung vor meinem Weggefährten. »Ich weiß«, murmelte ich ihnen zu. »Aber ihr irrt euch!«
    Nach vierundachtzig Minuten begann ich mir Sorgen um Amad zu machen. Der Wind heulte draußen, ein Prasseln und Klappern setzte ein, als würde es Knochen regnen. Es war so laut, dass mich eine Bewegung im Gang völlig überraschte. Mein Finger zuckte schon am Abzug, aber der Schatten, der in meinen Unterschlupf glitt, war kein Mensch. Der Kopf einer Möwe schlenkerte leblos, ein Flügel schleifte über Sand. Die Graue ließ ihre Beute fallen und zeigte mir ein Beifall heischendes Hundelächeln. Hinter ihr erschien Amad, in eine Wolke aus Kälte und einen schwarzen geflickten Mantel gehüllt, unter dem Arm einen Packen Segeltuch. Ich erschrak über die blutige Schramme, die wie ein roter Halbmond auf seinem Wangenbogen prangte. »Was ist passiert?«
    Er zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. »Plünderer teilen nicht gern.« Er entleerte das Bündel neben dem Feuer. Angerostete Konserven rollten in den Sand. In den zerfetzen Resten des

Weitere Kostenlose Bücher