Der dunkle Kuss der Sterne
zog. Und gegen jede Vernunft schmiegte ich mich an ihn, schloss die Augen. Die Umarmung gehörte mir nicht und vielleicht war sie deshalb so schön und schmerzlich zugleich.
»Wird Ydrinn dir verzeihen?«
»Ich weiß es nicht, Canda Löwenherz.«
»Ist sie …schön?« Ich weiß nicht, warum mir diese Frage herausrutschte. Amad biss sich auf die Unterlippe und sah zum Himmel. Als er nach einer langen Pause antwortete, war sein Atem in meinem Haar eine weiche, warme Berührung, die ein Kribbeln über meinen Nacken flirren ließ. »Schön? Ich sage ja, sie würde Nein sagen. Wir sind so verschieden wie Sonne und Mond, die sich nie begegnen können, aber wenn wir uns küssen, wird die Nacht zum Tag und der Tag bekommt einen Sternenglanz.« Die traurige Zärtlichkeit in seiner Stimme drückte mich nieder. Natürlich, weil ich Tian verloren habe .
»Ruh dich aus, wenn du willst«, sagte Amad mit belegter Stimme. »Ich halte Wache, ich kann ohnehin nicht schlafen.«
Starr blickte er an mir vorbei in den Nebel. Aber als ich mich auf den Planken zusammengerollt hatte und durch einen winzigen Spalt meiner Lider zu ihm spähte, ruhte sein Blick tatsächlich auf mir, und in seinen Zügen leuchtete eine so schmerzliche Sehnsucht, dass ich verwirrter war als je zuvor.
Eine Hand lag auf meinem Mund, eine warme Brust drückte sich an meinen Rücken, und an meinem Ohr kitzelte ein Flüstern, so leise, dass nur ich es hörte. »Sie sind hier, Canda. Rühr dich nicht.«
Auf der Stelle war ich so wach, als hätte ich eine Ohrfeige bekommen, und ebenso schockstarr. Amad ließ mich nicht los, Körper an Körper kauerten wir am Rand der Transportfläche.
Es waren sieben Gestalten im Morgenlicht. Hände lagen auf dem Bootsrand, aus dem Wasser ragten schon menschliche Oberkörper. Bitte lass Amad und Juniper recht haben , flehte ich im Stillen. Haie zerfleischen ihresgleichen nicht.
Eine graue Dame zog sich direkt neben uns aus dem Wasser, so nah, dass ich die Spitzen scharfer Zähne hinter der Imitation weicher Menschenlippen erkennen konnte. Revolvergebiss , schoss es mir durch den Kopf, nachrückende Zähne, dreitausend in einem Haileben. Zum ersten Mal war ich froh um die Haihaut, die mich schützte. Juniper und Amad hatten mit ihrer Strategie recht behalten. Es waren keine Eisenhaie. Noch nicht.
Die Dame beachtete mich nicht weiter, sie wälzte sich achtlos an mir vorbei und strich dicht an meinem Oberschenkel entlang. Durch meine Tarnung hindurch konnte ich die Kälte des Fischkörpers fühlen. Juniper saß aufrecht unter dem Galgen, ebenso ruhig, ein Hai unter Haien in Wandelgestalt. Gut verborgen lag ihre Hand an einem Messer. Stoßt nur zu, wenn ihr die Stelle seht und sie beim ersten Versuch treffen könnt , hallten mir Amads Worte im Ohr. Aber es waren nicht diese Haie, auf die wir warteten. Sie waren nur die Vorhut. Diejenigen, die auch tote Köder fraßen.
Auf den Händen glitt die graue Dame über das Deck wie eine eidechsenschnelle Meerjungfrau. Sie schlug die Zähne in einen Fisch und warf sich wieder ins Meer. Zwei rostige Dornen am Bug brachen. Das Knacken war wie ein Startschuss. Plötzlich schwankte das Boot, kochte und schäumte das Wasser, als die anderen sich um die Köder rissen. In der Mitte unseres Gefährts, dort, wo wir mit den Dornen auch das Metallnetz aus dem Spalt zwischen den zwei Bootsteilen entfernt hatten, peitschten Flossen. Dann waren sie fort und ich war fassungslos, dass sie uns tatsächlich für ihresgleichen gehalten hatten.
»Das war der Anfang«, flüsterte Amad. »Jetzt weiß der Eiserne, dass es auf dieser Haiinsel etwas zu holen gibt. Nun sind wir an der Reihe, ihn anzulocken und ihm den letzten Köder streitig zu machen.« Er ruckte an dem verborgenen Seil, oben am Flaschenzug fiel eine Seitenklappe vom Käfig. Die Graue stemmte sich gegen die Kette, die sie davor bewahrte, ins Freie zu springen. Im selben Moment wurde das Wasser still wie ein Spiegel, die Haie waren abgetaucht, als hätte etwas sie verscheucht. Nur das Hundegebell zerriss die Nacht. Irgendwo rauschte es, als würde ein großer Körper die Wasseroberfläche durchbrechen und wieder abtauchen.
»Hängt die Graue wirklich hoch genug?«, wisperte ich.
»Ich opfere nie den Köder«, antwortete Amad trocken. »Bereit?«
Nein! , hätte ich am liebsten geschrien. Aber da war Juniper schon im Wasser und tauchte unter das Boot, die Führungsleine ruckte nach rechts und straffte sich. Amad ließ mich los. Es gab kaum eine
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