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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Segels waren zudem schwarze Lederstiefel eingewickelt, Decken, ein Filzhemd und eine Jacke, außerdem ein Pullover aus grauer Wolle. »Mit den Haihäuten kommen wir nicht weit. Zieh das hier an!«
    »Sind das Soldatenstiefel?«
    »Sie werden dir zu groß sein, aber wenn du deine Zehen behalten willst …«
    »Du hast doch niemanden dafür umgebracht?«
    Er hob nur die linke Augenbraue. »Ich sorge dafür, dass du nicht umgebracht wirst, du stellst keine Fragen. Zieh dich um, in den nassen Sachen holst du dir den Tod, Wüstenblume.«
    Ich schluckte und nahm die Sachen mit einem unbehaglichen Kribbeln an mich. Fast erwartete ich, Einschusslöcher im Stoff zu finden, aber er war unversehrt. Amad zückte ein Feuerzeug und kniete sich neben die Kuhle im Boden.
    »Wozu willst du Feuer machen? Wir müssen weiter!«
    »Nicht jetzt.«
    »Das entscheide immer noch ich!«
    »Kannst du gerne. Aber vorher habe ich ein Rätsel für dich, Mädchen, das alles weiß: Was ist das?« Er warf mir etwas zu, das wie ein rund geschliffener Bergkristall aussah, allerdings war er mehr als faustgroß. Im Reflex fing ich ihn auf und war überrascht, wie glatt er war, schmerzhaft kalt und nass. Doch als ich ihn trocken reiben wollte, wurde er nur nasser und begann zu tropfen. Amad verbiss sich ein Lachen. Endlich begriff ich. Gefrorenes Wasser! »Ist das … Eis?«, fragte ich fassungslos.
    Amad nickte. »Hagel. Schön, aber gefährlich, wenn er so groß ist.«
    Ich rannte an ihm vorbei und blickte mit offenem Mund auf einen flirrenden Wasserfall aus gefrorenen Kristallkugeln. Sie fielen vom Himmel, zersprangen knackend und prasselnd auf den Felsen, zerschlugen Sträucher und tanzten bergab. Das Trommeln war beängstigend laut. Und trotzdem konnte ich nur staunen, völlig gefangen genommen von der Gewalt und Schönheit des Schauspiels.
    »Juniper hat Glück, dass sie dem Sturm davongefahren ist«, sagte Amad hinter mir. »Er zieht über die Uferberge hinweg ins Landesinnere.«
    Dorthin, wo Tian ist , dachte ich.
    *
    Ich war froh, die Fischhaut und die salzgetränkten Sachen abzustreifen. Die neue Kleidung roch nach Wolle, Teer und Schießpulver, aber die Wärme tat gut. Ich hatte ganz selbstverständlich erwartet, dass Amad mich nicht beobachtete, während ich mich umzog, aber als ich mich umwandte, merkte ich, dass er mir die ganze Zeit über zugesehen hatte. Mir schoss das Blut in die Wangen. »Genug gesehen?«, schnappte ich.
    »Blaue Flecken und Schrammen.«
    »Ist das alles, worauf du gestarrt hast?«
    Er lächelte wie ein Dieb. »Du glaubst, da gibt es noch mehr zu sehen?«
    Seine Worte machten mich verlegen – und trotzdem hätten sie beinahe ein Lächeln auf meinem Gesicht entfacht. Und diesmal, da war ich mir sicher, suchte er mit seinem Blick nicht nach meinen Geschwistern.
    »Was … siehst du jetzt?« Die Stimmung veränderte sich schlagartig. Ich erschrak, so schnell verschwand alles Weiche aus seinem Ausdruck. Seine Augen wirkten noch umschatteter als sonst, die Wunde und der schwarze Mantelkragen verliehen ihm die düstere Aura eines Soldaten. Eines traurigen Soldaten, der auf der Hut ist, dachte ich.
    »Ich sehe eine Jägerin«, murmelte er nach einer langen Pause.
    Ich weiß nicht, warum mich diese sachliche Antwort so enttäuschte. »Das bin ich nicht. Ich habe den Hai nicht getroffen.«
    »Wer beim ersten Mal trifft, wiegt sich nur in falscher Sicherheit. Du hast die schwächste Stelle gefunden – darauf kommt es an. Und es war nicht ›nichts‹! Erinnere dich! Weißt du noch, wie du deinen ersten guten Schlag gegen mich gesetzt hast?«
    So oft hatte ich Tian gelauscht, aber jetzt, als Amad unsere letzten Stunden noch einmal zum Leben erweckte, begriff ich, wie farblos die Geschichten in Ghan gewesen waren – Abenteuer fremder Menschen, makellose, übermenschliche Helden mit perfekten Strategien, die niemals nur aus Glück überlebten. Aber Tian hatte diese Geschichten geliebt, als wären sie echte Abenteuer. Weil wir es beide nicht besser wussten, dachte ich. Wir haben in einem Kokon aus Marmor gelebt, jeder zu bunte Traum betäubt von Schlafmitteln! So fern von allem, was Leben und Atmen und Lachen ist.
    Und noch etwas war anders: Diesmal war es auch meine Geschichte. Immer öfter unterbrach ich Amad und erzählte eine Begebenheit neu, mit meinen Augen. Während draußen die Welt unter Eis begraben wurde, verwoben sich unsere zwei Wege zu einem, füllte sich jedes Wort mit Leben und Farben – schöner, als sie

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