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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Hier lernen die Verbannten zu kämpfen. Die Eroberungskriege finden anderswo statt, im Norden und jenseits der Grenzen von Tibris – aber du weißt ja, wer die Ausbilder und Soldaten bezahlt.«
    Eine ganze Welt hatte sich verändert, seit ich von zu Hause fortgegangen war. Denn heute war ich nicht stolz darauf, mir die Antwort geben zu können.
    Wie oft hatten Tian und ich in der Bibliothek gesessen und die weißen Flächen auf Landkarten mit Vermutungen ausgemalt? Unbekanntes Land, wo keine Handelspartner saßen, keine Verbündeten in Regierungssitzen und keine befreundeten Völker. »Länder, die man nicht kennt, sind wie Bücher, die man noch nicht gelesen hat, und Schatztruhen, die nur darauf warten, geöffnet zu werden.« Das hatte Tian in der Bibliothek gesagt. »Und eines Tages werden wir sie öffnen, mein Stern!« Ich erinnerte mich daran, dass ich ihn in solchen Momenten für das Leuchten seiner Begeisterung besonders geliebt hatte. Aber jetzt fror ich nur vor Unbehagen. Bruder Erinnerung ließ mich auch heute nicht im Stich. Wort für Wort rief er mir ins Gedächtnis, was die Mégana über die Macht Ghans gesagt hatte: »Wir haben die besten Söldner aus allen Ländern, keiner unseres eigenen Blutes muss sein Leben noch für unsere Siege opfern. Herrscher fremder Länder kaufen unseren Rat und Strategien und bezahlen ihr Leben lang in Gold dafür.«
    Mein Vater hatte uns Hohe immer Ratgeber genannt. Strategen und Partner für unsere Verbündeten. Die Frau an der Wasserstation in der Wüste hatte ganz andere Worte gefunden: » Sie sitzen nur in ihrer Zitadelle wie Köcherspinnen, die auf ihre Beute lauern. Leid und Kriege werden in den Türmen Ghans geboren!«
    Damals, als ich noch eine Hohe war und die Wüstenfrau nur eine Barbarin, hatte ich es als Beleidigung verstanden. Aber jetzt erinnerte ich mich an die Slums, an den alten Arbeiter Kosta und an Manoa, die mit Sklaven und Träumen handelte, als sei das kein Widerspruch, und wunderte mich nicht darüber, wie sehr die einstige Silberstadt Tibris mich an das gestrandete Schiff erinnerte, das Plünderern zum Opfer gefallen war.
    Verstohlen musterte ich Amad von der Seite, das scharfe Profil mit der leicht gebogenen Nase, die Haarsträhne, die seinen Wangenbogen nachzeichnete. Sein Atem war klirrend weiß und sein Haar fing sich im Mantelkragen, den er bis zu den Wangen hochgeklappt hatte.
    Wie fühlt es sich an, die Uniform des Feindes zu tragen? , dachte ich beklommen.

Als würden wir der Kälte entgegenlaufen, brach unter meinen Sohlen Eis auf Pfützen; Hagelkörner, die nicht geschmolzen waren, häuften sich in Spalten und auf frosterstarrten Wiesen. Ich fand keine Ruhe mehr, die meiste Zeit rannte ich wie eine Besessene mit Seitenstechen und brennenden Lungen. Oft war ich sicher, hinter der nächsten Biegung meine Schwester zu entdecken. Aber als ich sie und meinen Versprochenen wirklich fand, hätte ich sie beinahe nicht erkannt. Sie liefen an einer halb zerfallenen Hütte in einem flachen Tal vorbei. Soldatenmäntel verhüllten sie. Meine Schwester hatte ihr Haar unter einer Wollmütze verborgen. Hand in Hand kämpften sie sich durch frostkaltes kniehohes Gras die nächste steilere Anhöhe hinauf.
    Ich hatte vergessen zu atmen, so groß war der Schock, als mir klar wurde, dass ich am Ziel war. Ich hatte erwartet, dass meine Geschwister meine Gedanken übertönen würden, aber jetzt verstummte jede Ahnung von Flüstern.
    Amad gab mir ein Zeichen. Ich verstand und nickte. Überrasche den Gegner von zwei Seiten . Auch diesmal war es gut, einen Plan zu haben, es bewahrte mich davor, die Fassung zu verlieren. Wie Löwen auf der Pirsch trennten wir uns und rannten geduckt weiter, halb verborgen von Sträuchern. Am tiefsten Punkt des Tals sanken meine Stiefel bis zu den Knöcheln in sumpfigen Untergrund ein, in Spalten gurgelte Wasser, als würden unterirdische Bäche durch löchriges Gestein rauschen. Von hier unten wirkte der Rand der Anhöhe wie eine scharfe Kante, die den Himmel vom Land trennte. Wolken ballten sich, als würde ein Sturm aufziehen. Ein Windstoß wälzte sich über das Gras, riss meiner Schwester die Mütze vom Kopf. Ihr Haar wand sich wie ein Kranz aus goldenen Schlangen. Dann hatten die beiden die Himmelslinie erreicht. Vögel flatterten im Tal auf. Ich wollte die Graue packen, damit sie nicht bellte – da fuhr meine Schwester herum, als hätte sie einen Ruf gehört. Auch Tian war stehen geblieben.
    Wenn es einen Schnitt in meinem

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