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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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versank, ihr Haar verlosch wie ein weißgoldenes Flackern. Wasser?
    Es war tatsächlich ein Fluss, der kaum floss, das Einzige, was sich bewegte, waren die Spiegelungen jagender Wolken. Ich wartete darauf, dass sie wieder auftauchte, aber sie blieb verschwunden. Immerhin hatte ich nun die Antwort, wozu ich fähig war – und wozu nicht. »Du musst sie retten«, keuchte ich. »Amad, du kannst schwimmen, hol sie raus, bitte!«
    »Sie schwimmt besser als ich.« Er deutete nach links.
    Hundertvier Meter in elf Sekunden? Es war absolut unmöglich, kein Mensch konnte so schnell tauchen, schon gar nicht mit einem verletzten Arm. Aber sie war am anderen Ufer, dort, wo Bäume aus dem Wasser ragten, überschwemmt von Schmelzwasser, so weit fort von uns, als wäre ihr Verschwinden und Wiederauftauchen ein Zaubertrick gewesen. Zierlich wie eine nasse Katze stand sie dort, bebend, unendlich schön in ihrer Verzweiflung. Plötzlich krümmte sie sich und weinte, dass es sie schüttelte. Sie weint um den Mann, den sie ermorden wollte? , dachte ich fassungslos. Und trotzdem – ihr Leid schnitt mir ins Herz, und für einen Moment fühlte ich mich beschämt, so als wären Amad und ich die Jäger, gnadenlose Raubtiere, die sie hetzten, bis sie starb. Sie wandte sich um und floh. Dann brach der Himmel wie ein morsches Fass.
    *
    Der Regensturm hatte vergeblich versucht, auch den letzten Rest des Daches von dem alten Steinhaus, in das wir uns geflüchtet hatten, herunterzuwaschen. Ich hatte nicht protestiert, als Amad Tian an einen Eisenring neben dem halb zerfallenen Kamin gefesselt hatte. Noch war er bewusstlos. Die Platzwunde am Hinterkopf hatte aufgehört zu bluten, aber an der Schläfe prangte ein hässlicher Riss. Amad lehnte an den Resten der wetterzerfressenen Tür, die Arme verschränkt, und beobachtete mit finsterer Miene, wie ich Tians Wunde behutsam mit einem nassen Stück Tuch reinigte. Draußen rauschte nur noch Nieselregen. Mir war unbehaglich zumute, mit beiden Männern in einem Raum zu sein. Amad machte mich nervöser als Tian. Sein vielfarbiges Haar klebte nass und dunkel an seiner Stirn und ließ seine Haut noch heller wirken. Im Gegensatz dazu kam mir Tians Gesicht vor wie das eines Fremden, weich und hübsch, aber ohne Schärfe und den düsteren Glanz, der mein Herz sogar jetzt schneller schlagen ließ. Die beiden sind wie Schatten und Licht , dachte ich beklommen . Dort, wo Amad stand, war die Nacht, dunkler und kälter.
    Seit wir den Bewusstlosen hergebracht hatten, hatte Amad noch kein Wort gesagt. Ich fragte mich, ob er Tians Lichter studierte. Die Leidenschaft des Eroberers, zählte ich im Stillen auf. Das Talent für Stadtplanung, die Analytik des Entscheiders, der Blick für Paragrafen und Regeltexte. Heute versuchte ich mir Gesichter dazu vorzustellen.
    »Was du auch tust, lass ihn nicht frei«, sagte Amad plötzlich in die Stille. Er wandte sich brüsk ab und verschwand nach draußen. Als könnte er unseren Anblick nicht ertragen .
    Tian kam zu sich, er hustete, seine Arme zitterten, so schwach war er, als er versuchte, sich zu befreien. Aber erst als die Graue knurrte, begriff er wohl, dass er gefangen war. Als er zu mir aufblickte, sah ich nur fassungslose Überraschung. Mir galt sie diesmal nicht. »Kallas«, stieß er hervor. Die Sorge in seiner Stimme verletzte mich mehr als ein Hieb. So heißt sie also, dachte ich. Na wunderbar, nach Ydrinn schon der zweite Name, den ich lieber nie gehört hätte. »Wo ist sie?«, flüsterte Tian.
    Da, wo sie hingehört – auf dem Grund des Flusses. Diese Gemeinheit lag mir schon auf der Zunge. »Fort«, sagte ich stattdessen. »Nachdem sie dich niedergeschlagen hat. Und – ach ja – vorher wollte sie dir noch ein Messer zwischen die Rippen jagen.«
    Wenn ich erwartet hatte, ihn demütig und verängstigt zu sehen, wurde ich nun enttäuscht. Der Blick, der mich traf, sprühte vor Zorn. »Du lügst!
    Der Ärger schmeckte wie ein Mundvoll Galle. »Du weißt, dass Lügen nicht meine Gabe ist«, gab ich trocken zurück. »Und du kennst mich lange genug, um zu merken, wenn ich es doch versuchen würde. Schon als wir Kinder waren, konnte ich dir nichts vormachen, erinnerst du dich?« Dieser Hieb saß. »Tja, jetzt weißt du wenigstens, wie es sich anfühlt, von jemandem, den man liebt, verraten zu werden«, setzte ich nach.
    Nun, ich war vielleicht nicht fähig, einen Menschen zu töten oder mit einem Dolch zu verletzen, aber mit Worten traf ich umso besser.
    Tian wurde

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