Der dunkle Kuss der Sterne
Ydrinn«, sagte er kaum hörbar. »Vergiss alles, was zwischen uns geschehen ist, jedes Wort, jede Berührung. Vergiss mich!«
Bevor ich widersprechen konnte, hob er den Revolver und feuerte in die Luft. »Ich hab sie!«, rief er. Hundegebell und raue Rufe waren das Echo, erschreckend nah.
Lauf! Er formte das Wort noch mit seinen Lippen, als ich mich schon herumwarf und am Fluss entlangrannte.
Eine Ewigkeit hörte ich nur meinen eigenen keuchenden Atem, wartete auf den Schuss, aber nichts geschah. Aber als ich über die Schulter zurückblickte, kam eine Horde Soldaten den Abhang hochgestürzt. Männer in zusammengestückelten Söldneruniformen. Und, an ihrer Spitze, zwei Kommandanten der Gefängnisgarde. Einer davon hatte einen weißblonden Bart, der andere war ein riesiger Mann mit schwarzem Haar und einer tiefen Narbe, die seinen Mund zu einem ewigen Lächeln verzerrte. Ich hatte ihn nur ein einziges Mal gesehen – bei der Gerichtsverhandlung, als er Jenn in den Raum führte. Und jetzt war es, als hätte ich Ghan erst gestern verlassen.
»Canda Moreno, stehen bleiben!«, brüllte er. Er hob das Gewehr, aber Amad war schneller. Der Schuss explodierte in der Frostluft. Die Haiweste schützte besser als eine Steinwand, der Treffer war nicht schmerzhaft, aber die Wucht des Schlages brachte mich zum Straucheln. Ich schrie auf – und meine Angst war echt, als ich über den Felsrand rutschte. Das Letzte, was ich noch im Fallen sah, war der Hieb mit einem Gewehrkolben, der Amad am Nacken traf. Er zuckte nicht einmal zusammen, bevor er fiel, so als hätte er genau das erwartet.
*
Wie damals im Meer hämmerte mein Herz in meiner Brust, rauschte mein Blut. Noch schützte die Haihaut mich vor der schlimmsten Kälte. Aber es war eine Sache, jemandem zu glauben, und eine andere, im Wasser wirklich darauf zu vertrauen, nicht zu ertrinken. Ich riss die Augen auf, heiß und pochend vor Tränen, die ich aus Angst um Amad und mich weinte. Und dann hätte ich um ein Haar geschrien und meine ganze Luft geopfert. Eine Strömung packte mich und riss mich jäh nach unten und nach links. Der Druck in meinen Ohren schwoll bis zur Unerträglichkeit an. Jetzt begriff ich, warum Kallas so schnell tauchen konnte. Es widersprach jedem Naturgesetz, aber unter der stagnierenden Oberfläche strömte eine zweite Wasserschicht, weicher, wärmer und hundertmal schneller. Meine Hände und Beine streiften Grundsteine, kalt und glatt wie polierte Diamanten, und an den Kanten scharf wie Messer. Ich versuchte mich festzuklammern, um zur anderen Flussseite zu kommen, aber die Strömung war zu stark. Schreie und Wasserrauschen vermengten sich in meinem Kopf, obwohl ich immer noch die Luft anhielt. Und dann, im düstersten Winkel meiner Angst, das jähe Begreifen: Es geschieht! Du … verlierst sie!
Ich dachte, es würde so sein wie damals in meinem Prunkzimmer. Als ich morgens erwacht war wie eine Verwundete, mit dem Gefühl, etwas sei mit Gewalt aus meiner Seele gerissen worden. Ein Sterben und ein Verlust, der mich diesmal sicher völlig zerstören würde. Drei Tode , schrie es in mir. Warum zum Henker habe ich es getan?
Aber es war anders, sanft wie ein Ausatmen, obwohl ich immer noch die Luft anhielt. Sie glitten an mir ab wie Seide von Haut, ich spürte nur noch einen kühlen Wirbel, der alle Härchen auf meiner Haut aufrichtete. Immer noch wartete ich auf ein Reißen, einen Schnitt, eine Verwundung, auf das Grauen. Aber da war nichts. Auch keine Leere. Nur eine seltsame schwebende Leichtigkeit in mir. Als wäre der Tod ein spiegelloser weißer Raum, in dem einfach nichts war – nur ich selbst, nackt, bloß, allein mit meinem Herzschlag, der ruhiger und ruhiger wurde. Ich vergaß sogar, dass ich atmen sollte und tief unter Wasser gefangen war, ich schwebte nur in der Strömung.
Und auch diesmal hatte Amad mich nicht fallen gelassen.
Jemand hielt mich! Hände an meinen Schultern, meinen Armen. Sie packten und zogen mich, die Strömung drückte wie eine weiche Wand aus Kälte gegen meine Seite, aber sie riss mich nicht weiter. Meine Knie stießen an etwas Hartes, rundere Steine, das Wasser wurde langsamer und schließlich schwer und träge wie Öl, der Untergrund weich wie nasse Erde. Da war Luft und das Echo meines keuchenden Atems. Eisspitzen in meiner Lunge, Geräusche und Stimmen in der Ferne, die der Wind mir zutrug. Ich war nicht leer, aber ich war allein – so wie jemand morgens erwacht in der Erwartung, den Liebsten neben sich zu
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