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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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selben matten Schwarz wie seine Kleidung. Meine Geschwister sind Krieger . Dann fiel mir wieder ein, dass wir niemals Geschwister gewesen waren.
    »Wie … heißt du?«, wisperte ich.
    Er stutzte und runzelte die Stirn, als müsste er sich mühsam erinnern. »Meon?«, sagte er nach einer Weile. Es klang eher wie eine zaghafte Frage. Aber dann hellte sich seine Miene auf. Es war kein Lächeln, nur ein stilles Glück, ein Wort wiedergefunden zu haben.
    Wie lange dauert es, bis man seinen eigenen Namen vergisst? , dachte ich betroffen.
    »Wann hat dich jemand das letzte Mal so genannt?«
    »Du meinst, wie lange ich ein Sklave für euch Menschen sein musste? Millionen von Träumen lang!« Es war gespenstisch, wie menschlich er war: in seiner Freude, und auch in seinem Leid. Seine Sachlichkeit konnte den bitteren Unterton nicht überdecken und ich fühlte mich schuldig. Kosta, der alte Muschelputzer, hatte mich ganz richtig eingeschätzt: Ich war eine Sklavenherrin gewesen. Kein Wunder, dass meine anderen Lichter vor mir geflohen waren. Vielleicht hätten Tians Lichter ihn wirklich nicht gerettet. Er hasste sie. Amad musste es wahrgenommen haben.
    »Meon?«, fragte ich zaghaft. »Sind die anderen beiden für immer fortgegangen? Sehe ich sie nie wieder?«
    »Das kann ich dir nicht sagen. Sie gehen ihren Weg. Ich gehe meinen.«
    Mein Weg hätte auch am Grund des Flusses enden können, dachte ich voller Unbehagen. »Warum hast du mich nicht verlassen?«
    Jetzt bildete ich mir ein, doch den Anflug eines Lächelns wahrzunehmen. »Ohne mich findest du deinen Weg doch nicht.«
    »Danke«, sagte ich leise. »Dass du bei mir bist. Und dass du mich aus dem Wasser gezogen hast – trotz … allem.«
    *
    Ich wusste nicht, wie lange wir weiterhetzten, so leise wie möglich, geduckt, jederzeit darauf gefasst, ein auf uns gerichtetes Gewehr zu entdecken. Es knackte oft in der Nähe, Vögel flatterten auf und mein Nacken kribbelte unbehaglich, als würde mich jemand beobachten.
    Inzwischen war es dämmrig geworden, der Nebel spielte Verstecken mit den Geräuschen, manchmal bekamen sie einen Hall, als wären wir in der Nähe hoher, glatter Steinwände oder Schluchten. Meon führte mich über steile Felsschrägen, die wir nur auf allen vieren bewältigen konnten. Halb gefrorene Flechten knisterten unter meinen Knien und klammen Händen. Irgendwann fand ich einen abgebrochenen Ast und hob ihn als Stock auf. Im selben Moment stieß ich gegen Stein. Eine Treppe! Seltsamerweise hatte ich sie eben noch nicht gesehen. Sie war grob in den Rand einer Felswand gehauen, genau an einer Abbruchkante. Die Rillen der Meißelschläge bildeten grobe Strichmuster. Etwas Kaltes traf meine Lippen, verwandelte sich in einen Tropfen. Winzige Fetzen von weißem Flaum schwebten und trudelten durch die Luft, landeten auf meinen Wangen, meinen Wimpern und Ärmeln und verharrten dort, fedrige sternförmige Miniaturblüten, die in ihrer Form frappierend an Wüstenblumen erinnerten. Mehr und mehr davon hüllten uns ein wie ein wirbelndes kaltes Tuch. Schnee?
    Meon fasste mir warnend an die Schulter und riss mich aus meinem Staunen. Jetzt hörte ich es auch. Kein Zweifel – ganz in der Nähe atmete etwas. Meine Nackenhärchen stellten sich auf. Die Treppe hoch! , bedeutete mir Meon und gab mir einen Stoß zwischen die Schulterblätter. Reflexartig zählte ich immer noch die Stufen, bis ich mich bei dreißig verhaspelte. Der Schnee war inzwischen so dicht, dass ich nur noch die nächsten Stufen erkennen konnte. Dann explodierte das Weiß direkt vor mir, Fell streifte meine Lippen, heißer, stinkender Atem nahm mir die Luft. Ich fiel und kam hart am Rand der Stufe auf, schlitterte zum Abgrund, eine Steinkante drückte gegen meinen Nacken. Hinter mir ging es bergab in die Tiefe. Eine Pfote drückte gegen meine Kehle, das Gewicht einer riesigen schwarzen Bestie quetschte mir die Lungen zusammen. Ein raues Bellen, das in der Nähe sofort Echos fand, dröhnte in meinen Ohren.
    »Na sieh mal an!« Ein narbenverzerrtes Grinsen schälte sich aus dem Schneetreiben. Der Kommandant der grauen Garde erhob sich von der Treppe, auf der er mich offenbar erwartet hatte. »Hat mir doch irgendeine innere Stimme richtig zugeflüstert, dass ich besser auf Nummer sicher gehe. Die kleine Morenobraut hat nämlich tatsächlich schwimmen gelernt!« Ich hätte Angst haben sollen, stattdessen hätte ich vor Wut und Enttäuschung am liebsten aufgeschrien. Neben dem Kommandanten flackerten die

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