Der dunkle Kuss der Sterne
Kerkerzellen. Und ich schämte mich unendlich für den nächsten Gedanken und konnte doch nicht anders, als ihn auszusprechen.
»Aber ich … ich kann sie nicht freigeben! Wer bin ich dann noch?«
»Sieh dich an!« Amad deutete auf das schwarze Wasser unter uns. Ich wagte es nicht, mich selbst anzuschauen. Im Spiegel des schwarzen Flusses betrachtete ich nur sein Gesicht über meiner Schulter. Das vielerlei Haar, verwildert und lang geworden, die Augen, die den Glanz von blauen Funkenlichtern hatten.
»Du bist schön, auch wenn du es nicht glaubst«, murmelte Amad. »Ob dein Herz zerbrochen ist oder nicht – es schlägt für so vieles und es ist groß und ehrlich und gehört auch den Schwachen. Du verzeihst, selbst wenn du verwundet bist, du weißt, was gerecht und gut ist. Du hast Mitgefühl für die Sklaven, ich habe es so oft in deinen Augen gesehen. Schau die Frau im Onyxwasser an, Canda. Ich liebe ihre Beharrlichkeit, ihren Mut, ihre Verletzlichkeit. Ich liebe dein Lachen, deine Wut und deine Leidenschaft. Sogar deine Sturheit. Im Guten und Schlechten beißt du dich fest wie ein Hund, der eine Beute niemals aufgibt. So wie du Tian nicht loslassen wolltest und auch nicht den Glanz, den du für dein wichtigstes Selbst hieltest. Aber das war er nie! So wenig wie deine anderen Gaben.«
Erst jetzt wagte ich einen Blick auf mich. Ein Mädchengesicht im glatten Wasser, fremd und doch vertraut. Nicht überragend schön, aber doch auf eine klare Weise hübsch, mit schräg geschnittenen Wüstenaugen, die Geschichten von Leid und Stolz erzählten. Brauen wie Schwalbenflügel und wilde braune Locken. Es war nicht mehr der Glanz strahlender Schönheit, aber etwas anderes umgab mich, warm und schimmernd wie die letzte Ahnung von Abendröte. »Du brauchst deine Lichter nicht«, raunte Amad mir zu. »Du findest deinen Weg, du erinnerst dich auch ohne Gabe an all das, was dir wichtig ist – und welcher Mensch muss schon wissen, wie viele Sterne am Firmament stehen?« Jetzt musste ich trotz allem lächeln. Irgendwo flüsterte es, regten sich meine Geschwister und versuchten zu mir durchzudringen. Die Abenddämmerung spielte mir Streiche, ich bildete mir ein, schemenhafte Spiegelbilder zu sehen, die sich überlagerten wie der Abglanz von Feuerwerk, schillernd und schön. Das Mädchen im Spiegel des Flusses zog die Brauen zusammen. Juniper hätte mich gelbäugig und gierig genannt. Sie gehören doch zu mir! Ich darf sie nicht verlieren.
»Was ist, wenn das alles nicht wahr ist, und nur ein Trick, damit ich meine Geschwister gehen lasse?«
»Du allein führst das Messer bei diesem Schnitt«, sagte Amad sanft. »Welchen Namen trägt es? Ja oder Nein?« Sein Atem streifte über meine Wange, und ich erinnerte mich daran, wie oft ich mit Tian dem Sandwind gelauscht hatte, nicht ahnend, wen er auf dem Dach umarmte. Nicht mich, Canda. Sondern ihren Glanz. Seltsam, wie sehr dieser Verrat immer noch schmerzte.
» Wenn du die Grenze fürchtest«, fuhr Amad fort, »dann fliehst du am Fluss entlang und ich schicke die Garde in die andere Richtung.«
Das Mädchen im Fluss schüttelte entschieden den Kopf.
»Ich muss zu Kallas! Ja, ich gehe über den Fluss.« Aber ich komme wieder . Ich überlasse dich und Tian nicht der Rache der Méganes.
Amad nickte ernst. »Dann dürfen die Méganes keinen Verdacht schöpfen. Und deshalb … muss ich dich töten.«
Ich fuhr zu ihm herum. »Was?«
»Auch das ist ein Teil meines Pakts: dich zurückzubringen – oder dich zu töten, wenn du nicht zurückkehren willst.« Jetzt erst verstand ich alles: die Dunkelheit, seine Ablehnung, seine Zerrissenheit mir gegenüber. Noch nie hatte ich die Méganes so sehr gehasst wie in diesem Moment.
»Du würdest mich aber niemals töten.«
Er zog den linken Mundwinkel zu diesem schiefen Lächeln hoch, das ich jetzt mehr liebte als je zuvor. »Niemals.« Ich erschauerte, als seine Fingerspitzen mein Schlüsselbein berührten, dort, wo die Haihaut am Halsausschnitt freilag. »Trotzdem werden sie dich sterben sehen, denn nur so bist du frei. Sie werden nicht nach dir suchen, nur nach Kallas. Dein Weg zu ihr ist frei, du hast jeden Vorteil auf deiner Seite und du weißt alles, was ich dir über das Jagen beibringen konnte.«
»Wo finde ich dich wieder?«
Sein trauriges Lächeln war flüchtig, aber mit ihm blühte alles auf, was uns verband. Er blinzelte ein paarmal zu oft und ich erschrak über das verdächtige Glänzen seiner Augen. »Leb wohl, Canda
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