Der dunkle Kuss der Sterne
spüren, der schon aufgestanden ist.
»Sie kommt nicht mehr hoch«, rief eine raue Soldatenstimme. »Der Sklave hat sie erschossen, die hatte gar keine Zeit mehr, zu ertrinken.«
»Verdammter Idiot!« Das war der Kommandant mit der Narbe. »Die Mégana wollte sie für das Verhör lebend haben!«
Mühsam kroch ich durch flaches Wasser und durch knisterndes hohes Gras, so weit, bis ich nur noch frosthelle Grasspitzen und einen weißen Himmel sah. Dort sackte ich kraftlos zusammen, taub vor Kälte, mit klappenden Zähnen und einem Feuer der Angst im Bauch. Allein! Und was machen sie mit Amad?
Vor mir im Gras: Blut! Ich fühlte keinen Schmerz, aber meine Handflächen hatten Schnitte von den Grundsteinen, warmes Rot schmolz den Frost an den Halmen, dort, wo ich mich aufgestützt hatte.
Blinzelnd sah ich mich um und entdeckte eine andere blasse Hand, die sich in das Gras krallte, hörte keuchenden Atem. Ich blickte nach rechts und erstarrte. Die Kirschlippen des mathematischen Mädchens waren blau vor Kälte, ihre Augen riesengroß, nasses schwarzes Haar klebte ihr an Stirn und Wangen. Es war ein Schock, sie wirklich lebendig vor mir zu haben. Sie betrachtete mich so irritiert wie eine Schlafwandlerin, die aus einem Albtraum hochgeschreckt war. Dann ertönte wieder ein Ruf von der anderen Seite des Flusses. Wir zuckten beide zusammen und kauerten uns dicht an den Boden.
»Müssen wir die Leiche aus dem Fluss holen?«, hallte es von der anderen Seite.
»Nein, unwichtig, tot ist sie nichts wert.« Das war wieder die Stimme des Narbengesichts. »Aber schickt zur Sicherheit die Hunde voraus. Nur für den Fall, dass sie doch noch lebend ans Ufer gekommen ist.«
Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Die Graue! Ich hatte sie bei Tian gelassen. Was, wenn sie sie dabeihatten? Sie würde mich mühelos finden.
Eine andere, befehlsgewohnte Stimme erklang, älter und ruhiger. »Ausgeschlossen. Der Sklave hat sie erwischt. Schuss mitten in die Brust, ich hab’s gesehen.«
»Ich traue keinem Moreno«, knurrte Narbengesicht. »Die haben neun Leben, wie Katzen!«
Der Ältere mit dem weißblonden Haar lachte rau. »Misstrauisch wie immer, Taled. Aber wenn ich es dir sage: Die Kleine ist gesunken wie ein Stein. So lange im Wasser zu sein, überlebt keiner. Glaubst du etwa, eine, die niemals auch nur einen Schritt aus der Wüstenstadt rauskommen sollte, kann schwimmen? Verschwende keine Zeit. Wir müssen die andere finden, die blonde Sklavin.«
Ich weiß nicht, wie lange ich wartete, ich hatte jedes Gefühl für Sekunden und Minuten verloren. Die Pause war unerträglich. Dann gab der Narbengesichtige widerwillig nach.
»Na schön. Setzt über den Fluss. Und ihr da! Bringt den Sklaven und den Labranako-Jungen zurück zum Rabenhafen. Dort nehmt das kleine Motorboot. Es ist schneller.«
Sie kommen über den Fluss! Als ich den Kopf hob, war der Platz neben mir leer. Doch ein Stück weiter hockte jemand im Schutz eines frostweißen Strauches, die Arme fest um die angezogenen Beine geschlungen. Bruder Erinnerung! Er war wirklich so jung wie in meinen Träumen, kaum älter als dreizehn, seine weit aufgerissenen bernsteinfarbenen Augen wirkten in dem zarten, schmalen Gesicht viel zu groß. Als ich den Mund aufmachte, sprang er erschrocken auf und floh. »Warte!«, krächzte ich.
Eine Hand legte sich auf meinen Mund. »Kein Wort!«, flüsterte mir jemand ins Ohr. Als ich nach links schielte, war da nasses graues Haar, ein freundliches, kluges Gesicht. Bruder Wegesucher. Für einen Schlag setzte mein Herz wieder aus und stolperte dann weiter. Es ist wahr. Es ist wirklich kein Traum. Er ist kein Geist mehr!
Die Stimmen wurden leiser, als hätte sich die Gruppe ein Stück entfernt.Bruder Wegesucher lauschte angespannt, dann nahm er die Hand herunter. »Gehen wir.« Seine Stimme war ein wenig rau, aber genauso sachlich und trocken, wie ich sie kannte. Nur dass ich immer gedacht hatte, es sei meine eigene Stimme, meine Intuition, die mich die richtigen Wege finden ließ.
Wir krochen, bis der Fluss eine Biegung machte, dann ergriff er meine Hand und half mir hoch. Wie damals, als ich Schwester Glanz verloren hatte, fühlte ich mich, als hätte mein Körper jede Balance verloren. Meine Knie zitterten, als würde ich zum ersten Mal lernen, auf ihnen zu stehen. Mein Bruder legte den Arm um mich und stützte mich. Er überragte mich um einen ganzen Kopf; obwohl er hager war, schüchterte seine Stärke mich ein.
Meine nasse Kleidung klebte
Weitere Kostenlose Bücher