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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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klebrig und ekelhaft. Ein angeketteter Hund kläffte mich an. Ich wälzte mich von dem Stand, schlitterte über heruntergefallene Früchte nach draußen und lief humpelnd davon, so schnell ich konnte.

Die Gespenster verschwendeten keine Sekunde. Schon nach wenigen Minuten ertönte jenseits der Mauer eine schrille Alarmglocke, dann noch eine. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie auch im dritten Ring Alarm schlagen würden.
    Ich flüchtete an Ständen entlang, durch Gassen, die mir auf dem Papier so vertraut und in Wirklichkeit eine fremde Welt waren. Der Knöchel tat bei jedem Schritt mehr weh, aber eine schlimmere Verletzung schien es nicht zu sein. Sobald ich Schritte hörte, versteckte ich mich hinter Mauern und Ecken, wartete Ewigkeiten, beäugt nur von mageren, streunenden Hunden.
    Hier, im dritten Ring, gab es kein Glas, Eisen und Stahl, nur Holz und Lehm und altertümliche Karren. Es roch nach Sand und Schmutz. Und an manchen Stellen nach fauligem Obst und Verfall. Irgendwo stritten sich Leute vor einem Haus, bellten Hunde, quietschten Karren. In der Nähe ragte als einziger Fixpunkt für die Orientierung die gemauerte Spitze eines alten Aussichtsturmes auf. Das hieß, ich befand mich ganz in der Nähe des Tuchmarktes. Und der war nur noch eine Viertelmeile vom nächsten Stadttor entfernt, das in den vierten Ring führte.
    In der Ferne erklang immer noch der Alarm, aber zu meiner unendlichen Erleichterung war mir offenbar niemand gefolgt. Als das Seitenstechen zu schlimm wurde, verkroch ich mich unter einem Marktkarren, der in einer Seitenstraße stand. Der Boden war uneben, voller Sand und Schmutz. Es stank wie in einem Zoo nach Tieren und Schweiß. Ich zitterte noch immer, Seitenstechen machte mir das Atmen schwer und meine Füße waren wund vom ungewohnten Rennen über Sand und Steine. Aber im Moment war ich nur glücklich, ausruhen zu können – hier, wo der Nachtwind mich daran erinnerte, dass ich immer noch zu den Lebenden gehörte. Für einige kostbare Momente war ich in Sicherheit. Mit dieser Erkenntnis kam die Erschöpfung. Ich lehnte mich an das Holzrad und schloss die Augen. Nur zehn Sekunden . Nur bis das Seitenstechen aufhört. Und dann musste ich es irgendwie schaffen, in den vierten Ring und dann aus der Stadt zu kommen. Zumindest dafür war es nützlich, dass ich mein Strahlen, meinen Glanz verloren hatte. Vielleicht konnte ich verbergen, eine Hohe zu sein.
    Wunderbare Idee , spottete meine innere Stimme . Und dann? Gehst du mit deinem kleinen Brieföffner in die Wildnis, zu den Bestien, den Mördern, den Stürmen?
    Doch bei der Erinnerung anTians Stimme zog sich mein Herz zusammen wie ein verwundetes Wesen. »Folge mir.« Und nur für einen Herzschlag lang ließ ich den Gedanken zu, der so verboten war, dass ich es nicht einmal gewagt hätte, die Worte stumm mit den Lippen zu formen: Was, wenn es nicht nur ein bedeutungsloser Traum war? Sondern … eine Botschaft?
    *
    »Hier drunter sitzt jemand!«
    Laternenschein streifte mein Knie. Ich warf mich herum und krabbelte auf Händen und Knien unter dem Wagen hervor. Mitten in eine Gruppe von Gestalten, die mit Laternen und Seilen bewaffnet waren. Diesmal blieb keine Zeit für Angst, und noch weniger Zeit dafür, mir Gedanken um meinen Knöchel zu machen. Ich rappelte mich auf, bevor sie überhaupt begriffen, was geschah. Aber noch bevor ich um die nächste Ecke war, brach der Tumult los. »Das ist das Mädchen!«
    »Festhalten! Flüchtling aus dem zweiten Ring!« Plötzlich erschien mir Ghan wie ein lebendiges Wesen, vernetzt und atmend, keine Berührung blieb unbemerkt. Noch gestern hätte diese Erkenntnis mich beruhigt und stolz gemacht. Die Rufe hallten wie Echos in meinen Ohren, meine Sohlen schlugen hart auf sandigen Boden, jeder Sprung ein Stechen in meinem geschwollenen Fußgelenk. Lange würde ich die Verfolgungsjagd nicht durchhalten.
    Zum Tuchmarkt! Dort gibt es mehr Verstecke als im Wohnviertel . Ich taumelte um die Ecke und riss mit voller Wucht einen Mann zu Boden. Sein schnapsumwehtes Fluchen folgte mir noch, als ich längst in der nächsten Straße war. Meine Schritte knirschten auf Sand und Stein – aber da war noch etwas, ein schneller, schleichender Gang und ein Schatten in meinem Augenwinkel. Bevor ich begriff, schnellte schon eine Gestalt auf mich zu. Der Zusammenprall brachte mich fast zu Fall. Staub nebelte uns ein, der Kerl versuchte mich zu fassen zu bekommen, aber meine Haut und meine Kleidung waren noch glitschig

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