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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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verzweifelte Stimme in meinem Inneren schluchzte und schrie: Aber wenn ich schon sterbe, dann ganz bestimmt nicht in dieser Gruft.
    Ich weiß bis heute nicht, warum ich es tat. Die Canda, die ich bisher gewesen war, hätte sich eher aus dem Fenster gestürzt, als gegen ein Gesetz zu verstoßen. Aber nun beobachtete sie voller Entsetzen, wie das nackte Mädchen vom Bett hochschoss, das Hemd aus den Händen der alten Frau riss und den Stoff über deren Kopf zurrte. Maram war viel zu überrascht, um sich zu wehren, und ich war stärker als sie, viel stärker. Wir fielen zusammen auf den Boden und ich umschlang ihren dürren Körper mit den Beinen und hielt sie unten. Ihre welken Hände flatterten wie fahle Motten auf dem Ärmel, den ich wie einen Knebel um ihren Mund festzurrte. Ein Wimmern drang aus der schwarzen Stoffmaske, die sich über Nase und Augen spannte. Plötzlich hörten Marams Mottenhände auf zu flattern, sie verlor halb das Bewusstsein. Bist du verrückt? Erstick sie nicht, fessle sie und nimm die Schlüssel! Erschrocken ließ ich die Schlinge los und sprang auf. An die folgenden Minuten erinnere ich mich wie in einem Traum, in dem ich mir dabei zusah, wie ich ein Hemd in Stücke riss und die Alte knebelte und fesselte, sie aufs Bett wuchtete und an einen Bettpfosten band, damit sie nicht zur Tür kommen konnte. In fliegender Hast zog ich die schwarze Kleidung über – weite Hosen und ein unförmiges Hemd. Mein Zeremonienkleid und das Unterkleid stieß ich mit dem Fuß unter das Bett. Dann nahm ich Marams Schlüsselbund und stürzte zur Tür. Seltsamerweise waren es nur sieben Schlüssel. Der kleinste gehörte zu meiner Kammer. Ohne mich umzusehen, zog ich die Tür hinter mir zu, schloss ab – und lief.
    Es war Abend. Die Gespenster hatten sich in ihre Kammern zurückgezogen; mit etwas Glück würde niemand vor morgen früh bemerken, dass Maram verschwunden war. Aber die erste Enttäuschung wartete schon an der Eingangstür auf mich: Die Tür war von innen verriegelt und keiner der Schlüssel passte.
    Denk logisch! , redete ich mir zu, während meine ganze Haut vor Panik kribbelte. Maram muss den Schlüssel zu einer Ausgangstür haben! Vielleicht gibt es einen Hinterausgang? Die Faust fest um den Schlüsselbund geschlossen, huschte ich barfuß die Galerien entlang. Es war hoffnungslos. Keine Seitentüren, keine weiteren Gänge. Schwer atmend landete ich wieder dort, wo Maram mich vorhin abgeholt hatte. Aber auf der Karte war das Haus doch größer gewesen, viel größer! Das winzige Licht, das von einer dünnen Kette von der Decke auf Augenhöhe herunterhing, beschien den schwarzen Marmor. Links und rechts von mir gähnten offene Kammern wie Münder, die darauf warteten, die Unglücklichen zu verschlingen. Nur eine einzige Tür in der Mitte der Stirnseite war geschlossen. Das metallische Glänzen der Klinke fing meine Aufmerksamkeit. Alle anderen Klinken waren dunkel angelaufen, aber diese hier war durch tausend Berührungen poliert, als würde jemand sie täglich benutzen: Maram, die wie ein Geist vor mir aufgetaucht war – weil sie aus dieser Kammer getreten war? Lebte sie hier, genau gegenüber der Eingangstür? Ich rannte zu dem Licht und hakte die kleine Laterne von der Kette los. Mit zitternden Händen probierte ich dann die Schlüssel durch. Und tatsächlich: Der letzte, der Schlüssel meiner eigenen Kammer, rastete so leicht im Schloss ein, als würde er von selbst hineinfinden. Beinahe hätte ich gelacht: Natürlich hatte Maram als Verwalterin den einzigen Schlüssel, der jede Kammertür öffnen konnte. Die Tür schwang lautlos auf. Ich fürchtete schon, auch noch eines der Gespenster niederschlagen und fesseln zu müssen, aber hier gab es nur Regale und Akten und einen Schreibtisch, der fast an das Bett stieß. Ich schloss hinter mir ab. Einige Minuten lehnte ich mich nur keuchend gegen die Tür und schloss die Augen.
    Ich muss verrückt sein , echote es in meinem Kopf. Sie werden mich finden und dann werde ich den Rest meines Lebens nie wieder die Sonne sehen.
    Irgendwo kratzte etwas hinter der Wand, vielleicht eine Ratte – oder Insekten, die sich in die Kühle von Mauerwerk flüchteten.
    Staub brachte mich zum Husten, als ich Schublade für Schublade durchwühlte und die Regale auf der Suche nach Geheimfächern leerte. Es musste hier irgendwo einen Anhaltspunkt geben, einen Plan – oder den Schlüssel zum Ausgang! Aber ich fand nur endlose Abrechnungen, die sich wie Rechtfertigungen für

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