Der dunkle Kuss der Sterne
Mädchenhändlern gehört, die Schönheiten entführten und an die Herren fremder Städte verkauften. Eine Schönheit wie dich? , höhnte meine Stimme.
An einer Stelle war die Mauer beschädigt. Der Kerl wuchtete einige lose Mauersteine beiseite.
»Los, da rein!«
Ich zögerte, aber als er meinen Arm packen wollte, wich ich ihm aus und gehorchte. Der schmale Gang war nur auf Händen und Knien passierbar. Die Taschenlampe erlosch. Unter meinen Händen raue Scharten und Rillen wie von Steinmetzwerkzeug, jemand hatte diesen Geheimgang nur ganz grob in den Fels gehauen. Es wurde steiler, Staub stieg mir in die Nase, Mörtelbrocken und Backsteine schürften mir die Handflächen auf, während ich hustend nach oben kroch. Der Gang endete in einem breiteren Schacht.
Ein dumpfer Knall vibrierte als Echo in meinem Zwerchfell, durch ein staubvernebeltes Rechteck drang Flammenschein. Mein Begleiter hatte einen Stein aus der Mauer vor uns gestoßen und hangelte sich katzenhaft flink durch den Spalt nach draußen. Ich spähte in den Raum dahinter.
Aber dort draußen warteten keine Menschenhändler. In der Mitte eines … Kellers? … flackerte auf dem zerbrochenen hüfthohen Rest einer alten Wassertonne ein einsames Kerzenlicht. Der Lehmboden war schartig und alt, zerklüftet von Schatten. Aber er roch nicht nach Erde und Staub, sondern nach … Lilien.
»Höchste Mutter!« Mein Flüstern klang wie das Echo von Mäusescharren.
Es war so paradox, die alte Frau hier zu sehen – in einen groben Umhang gehüllt, ohne ihren Mann, losgelöst von allem, was zu ihr gehörte.
Diesmal lächelte die Mégana nicht. »Komm her!«
Mit weichen Knien schlüpfte ich in den Keller. Trotz allem schämte ich mich, der Höchsten Herrscherin so schmutzig und abgerissen gegenüberzustehen.
»Wie kannst du es wagen, zu fliehen? Hatte ich dir nicht gesagt, Ghan gibt niemanden auf?«
Ich hätte Angst vor ihrem Zorn haben sollen, aber offenbar veränderte es alles, wenn man von Hunden und Kopfgeldjägern durch die halbe Stadt gehetzt wurde.
»Ghan hat mich aber aufgegeben!«, brach es aus mir heraus. »Und Tian ebenfalls. Ihr selbst habt sein und mein Urteil besiegelt!«
»Die höchste Richterzweiheit hatte nun mal eindeutige Beweise für deinen Schuldspruch«, kam es hart zurück. »Und du schuldest dem Urteil Gehorsam.«
»Das Urteil gründet auf Lügen!«
»Du schreist mich an? Mich? « Ihr Zorn war wie eine Hitzewelle, die mich versengte. »Sei froh, dass ich dich für diese Lästerung nicht lebendig in der Wüste begraben lasse. Habe ich dir erlaubt zu gehen?«
Ich begriff erst nicht, dass der letzte Satz nicht an mich gerichtet war, denn immer noch fixierte sie mich. Aber dann antwortete der Jäger: »Ich sollte sie finden und zu Euch bringen. Mein Auftrag ist erfüllt.«
Ich hielt unwillkürlich die Luft an. Abgesehen davon, dass er der Mégana widersprach, machte er jetzt tatsächlich Anstalten, sich ohne Erlaubnis einfach umzudrehen und zu gehen!
»Du bleibst, Amadar. Oder du wirst morgen deine Zunge eigenhändig an die Falken verfüttern.«
Amad-Ar? Amad, mein Sklave? Diese alte Formel kannte ich nur aus Geschichtsbüchern, aus den Zeiten des großen Chaos. Dieser Kerl, der mir gedroht hatte, mich niederzuschlagen, war also noch weniger wert als ein niederer Diener! Jetzt verstand ich gar nichts mehr – jeder Hohe hätte ihm für seine Unverschämtheit eigenhändig die Zunge herausgeschnitten, aber die Höchste Herrscherin duldete seine Verfehlung.
Er blieb, angespannt wie ein Tier, das fliehen wollte und nicht konnte. Nun, offenbar habe ich neuerdings mit den Niederen noch mehr gemeinsam als die Hässlichkeit, dachte ich bitter. Wir sind beide Gefangene . Ich hasste die Mégana dafür, dass sie Amadar nicht hinausgeschickt hatte und mir dadurch zeigte, auf welcher Stufe ich inzwischen stand. Aber ihm war es offenbar ebenso unangenehm. Unsere Blicke berührten sich und trennten sich sofort wieder, als hätten wir uns daran verbrannt.
»Jetzt zu dir«, wandte sich die Mégana wieder mit aller Schärfe an mich. »Du scheinst nicht zu begreifen, dass ich die Einzige bin, der noch etwas an dir liegt. Ich komme sogar hierher – allein! Selbst der Mégan weiß nicht, dass ich hier bin. Du solltest also mehr als dankbar sein.«
»Dafür, dass Ihr mich abführen lasst?«
»Das ist nicht meine Aufgabe. So leid es mir um dein Schicksal tut: Andere werden dich finden und zum Haus der Verwaisten zurückbringen.«
Wie zufällig
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